Death and the maiden (Der Tod und das Mädchen) von Roman Polanski. Frankreich/England/USA, 1994. Sigourney Weaver, Ben Kingsley, Stuart Wilson
Eine witzige Parallelität: Anfang ´93 kamen Louis Malle und Roman Polanski jeweils mit einem auf Erotik getrimmten Film raus und enttäuschten ich beide. Diesmal kommen beide mit einem Theaterfilm raus, aber die Enttäuschung ist nur noch einseitig, gilt nur noch Malle. Das fängt schon und vor allem mit der Wahl der Vorlager an: Wo uns Malle mit einem langen, zerquälten Tschechow um hundert Jahre zurückwerfen will, hat Polanski mit Ariel Dorfmans Stück ein sozusagen brandaktuelles ausgesucht und daraus eine für meine Begriffe brillante Filmversion gemacht.
Die unerhörte Härte und Bitterkeit dieses Dramas, eines der besten, das ich überhaupt je im Theater aufgeführt gesehen habe, überträgt sich auch im Film mit voller Wucht, wird durch die von Polanski betonten Akzente fast noch intensiviert. Es geht um Folter und um die Opfer, es geht aber ebenso um Gerechtigkeit, um Rache, um die Frage nach der Berechtigung dazu und um die Frage, ob Gerechtigkeit überhaupt in diesem Sinne möglich ist. Paulina ist sich sicher, ihren einstigen Vergewaltiger und Quäler allein an seiner Stimme erkannt zu haben, und nun sitzt er in ihrem eigenen Haus, ist ihr ausgeliefert. Ihr fassungsloser Gatte Gerardo, einst ein aufrührerischer Student und Herausgeber einer linken Zeitung, weswegen Paulina letztlich gefoltert worden war, nun ein etwas zu braver Anwalt, der auf dem besten Wege zu einer Staatskarriere zweifelhaften Zuschnitts ist, steht zwischen den Fronten, will Paulina von ihrem in seinen Augen wahnsinnigen Treiben abbringen, will aber auch die Wahrheit erfahren. Unsere Emotionen sind zunächst ganz auf ihrer Seite, denn ihre Schilderungen der Folterqualen sind so entsetzlich, dass sie jeden anderen Sachverhalt in den Hintergrund drängen. Aber Dorfman wie Polanski verschieben ganz langsam die Perspektive, fordern unerbittlich Objektivität bei aller emotionalen Betroffenheit: Was, wenn Paulina sich nun doch irrt, wenn Doktor Miranda, wie er angibt, die Jahre von 75 bis 78 doch in Barcelona verbracht hat und damit unschuldig ist? Und selbst wenn sie recht hat, wenn er tatsächlich der sadistische Folterer und Misshandler ist, hat sie ihrerseits das Recht, ihn schlimmstenfalls zu misshandeln und zu töten? Ort der Handlung ist ein beliebiges Land in Südamerika, das sich nach langer Zeit der Diktatur nun eine Demokratie nennt, und Gerardo weist zurecht darauf hin, dass ein jeder Mensch dafür verantwortlich sein muss, demokratische Zustände und Werte hochzuhalten. Paulinas Rache, so sehr man sie ihr einerseits gönnen möchte, stellt doch andererseits nichts weiter als einen Rückfall in alte Strukturen dar, und genau das scheint sie letztlich auch einzusehen, indem sie Miranda leben lässt, obgleich der in seinem Schlussmonolog seine Schuld scheinbar erkennen lässt.
Polanski hat sich für seine Verhältnisse bemerkenswert zurückgehalten, hat den emotionalen Gehalt des Dramas zwar erhalten, ihn aber nicht für exzessive, spekulative Ausbrüche benutzt, sondern sich enorm diszipliniert und so ein Höchstmaß an Intensität erzeugt. Seine Gewichtung liegt auf der verzweifelten Ambiguität der Situation, die ja auch, wie schon gesagt, den Zuschauer ergreifen muss. Dies ist auch in der genialen Auswahl der beiden Hauptdarsteller angelegt: Sigourney Weavers imponierende Physis, ihre dominante, fast männliche Ausstrahlung kontrastiert bedeutungsvoll mit dem schmächtigen, weichen, gegenüber Weaver fast schwächlich anmutenden Kingsley, der darüber hinaus zunächst fast völlig neutral daherkommt, seien Unschuld inständig beteuert und darin fast schon glaubwürdig ist, bis ihm der eine oder andere Ausrutscher passiert und man als Zuschauer wieder in die andere Richtung gezogen wird. Weavers rohe Gangart nimmt in der Tat etwas Manisches an, sodass wir zwischenzeitlich auch schon befürchten, dass sie sich doch irren könnte, aber am Schluss lenkt uns Kingsleys Monolog wieder um, denn hier scheint endlich der Sadist durch, fällt die Maske des ahnungslosen, biederen Doktors, erscheint der vom Militär zunächst benutzte und zur Gewalt verführte und dann aus eigenem, unstillbaren Drang brutale Vergewaltiger, der seinem Opfer zynisch all dies ins Gesicht sagt und bedauert, dass diese schönen Zeiten nun vorüber sind. Die Leistungen dieser beiden Schauspieler sind großartig, tragen den Film, aber auch Wilson mit der etwas zurückgenommenen Rolle des Ehemanns, der sich zwischen öffentlicher Karriere und hilflosem Gefühl nicht entscheiden kann, ist effektiv. Gerardo steht für all die, die ihre einst so hehren Ideale geglättet, vergessen haben, die von Staat eingefangen und nun kontrolliert werden, und der Staat weiß, was er tut, denn als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses in Ermittlungen über Folteropfer wird er nicht mehr viel Schaden anrichten, so wie der gesamte Ausschuss garantiert nicht viel Schaden anrichten wird. Beschämt erkennt er, welche Leiden Paulina für ihn erdulden musste, während er, wie er selbst zugibt, nach einem tag bereits umgefallen wäre, ihren Namen genannt hätte. Ihre Stärke war ihm stets ein wenig unheimlich, ließ ihn allzu oft annehmen, sie sei unter der Folter tatsächlich ein wenig verrückt geworden, wo sie in Wirklichkeit nur enttäuscht ist von ihm, den sie einst für sein Engagement bewunderte, und der sich nun mundtot machen lässt von jenen, die sich Demokraten nennen, die jedoch, wie Paulina genau weiß, die hochrangigen Schuldigen hinter den Schergen laufen lassen werden. So ringt sie sich zwar zu einer großen Geste durch, lässt ihn leben, muss ihm aber einige Zeit später im Konzert – natürlich wird Schuberts Streichquartett gespielt, die Lieblingsmusik des Vergewaltigers – im Kreise seiner Familie wieder in die Augen sehen, und ein letztes Mal baut Polanski diese zweideutige Situation auf: Genießt Miranda nun zynisch sein Leben auch in der Demokratie, kann der unmenschliche Sadist unbehelligt weiterleben, oder muss sich Paulina sagen, dass sie wirklich kein Recht hatte, dieses Leben, die Familie auch noch zu zerstören? Wenn dies der Preis für die Demokratie ist, so scheint auch Dorfman sagen zu wollen, dann ist es ein wahnsinnig hoher Preis, aber er muss dennoch bezahlt werden. Die Hilflosigkeit der Opfer, die letztlich doch wohl keine Genugtuung, keine Gerechtigkeit erfahren werden, schnürt einem den Atem ein, so stark wird sie hier mitgeteilt, und darin liegt wohl auch der Großteil der Härte des Stücks, dessen extrem kontroversen und komplexen Gehalt Polanski kongenial übertragen hat in einen Film, der sich ganz auf das Spiel der drei Akteure konzentriert und die Außenhandlung auf ein Minimum reduziert hat, während viele andere Theaterverfilmungen aus der räumlichen Enge ausbrechen. Polanski hält sich zurück, hat auch seien Schauspieler offensichtlich mit Erfolg davon abgehalten, zuviel zu machen, sondern sie auch fast schon zurückhaltend spielen zu lassen, und genau dadurch lenkt er unsere Aufmerksamkeit niemals auf unwesentlichen Zierrat, sondern konzentriert sie voll und ganz auf das, was hier gesagt, getan und vom Autor beabsichtigt wird. Ein hochgradig eindrucksvoller und bewegender Film, der nichts von den makaber-zynischen Tricks enthält, die andere Polanski-Filme sonst gewöhnlich aufweisen, so gesehen also kein typisches Werk seines Regisseurs, aber zweifelsohne eines seiner allerbesten. (16.5.)