Hades von Herbert Achternbusch. BRD, 1994. Herbert Achternbusch, Annamirl Bierbichler, Irm Hermann, Rosel Zech, Thomas Holtzmann
Seit nunmehr zwanzig Jahren gleichen sich die Szenen beim Verlasen eines Achternbuschfilms: Kann mir jemand mal bitte erklären, was das alles zu bedeuten hatte? Fraget der deutsche Kinogänger voller Unmut, denn das können wir, die wir alles interpretieren, alles einordnen, kategorisieren und verstehen wollen, nun mal nicht gut leiden, dass uns da ein komischer Bayer so viele Rätsel aufgibt. Mir geht es da im Prinzip nicht anders, denn auch ich bin ein Teutone, ob ich will oder nicht, und mir drängt sich stets von neuem die Frage auf, ob all diese merkwürdigen Sachen nun genialer Hintersinn sind, der sich uns armen irdischen Geschöpfen schlicht entzieht, oder ob es ganz einfach clowneske Albernheiten eines diebisch vergnügten Komikers sind, der nichts weiter will, als sich über uns symbolwütige Exegeten lustig zu machen. Wie fast immer wird die sogenannte Wahrheit irgendwo im Niemandsland liegen, und so hält man sich im falle Achternbusch von jeher an jene Passagen, die einem spontan einleuchten, und das hat man auch in diesem Film so gemacht. Es gibt jede Menge bissigen Spott gegen dumpfe bayerische Neonazis, gegen die alten Stechschrittmarschierer und Hacker-Pschorr-Trinker und gegen brutale Ausländerhasser, kurz gegen alles, was unser Vaterland so liebenswert macht. Grob gesehen wird die Geschichte des Herrn Hades erzählt, der einst dem Warschauer Ghetto entkam und später in der Nähe von München ein Bestattungsunternehmen eröffnete. Von militaristischen Nazis tödlich verwundet phantasiert er, ruft sich die Bilder aus Warschau in Erinnerung und ergeht sich schließlich in eine längere, indisch-esoterisch angehauchte Todesphantasie. Speziell der letzte Abschnitt mit seinen eher platten Kalauern und den im Großen und Ganzen doch eher bezugsarmen und unverständlichen Inhalten sorgte für hörbare Irritation. Nach dem tiefen Ernst, nach der menschlich bewegenden Anklage gegen Menschenverfolgung, Fremdenhass, Faschismus und Nationalismus kommt Achternbusch zum Schluss doch wieder mit den alten Spinnereien an, über die man je nach Veranlagung vielleicht lachen kann, die man aber, betroffen wie man ist, in diesem Kontext recht unpassend findet. Aber so ist er eben nun mal, der alte Atlantikschwimmer, immer schön gegen den Strich bürsten, den lieben Kritikern hier und da mal ein schön übersichtliches Häppchen zum Fraß vorwerfen, um sie dann im nächsten Moment wieder hämisch zu brüskieren. Er hat schmerzlich eindrucksvolle Originalbilder aus dem Ghetto integriert und mit nicht weniger aussagestarken Episoden aus dem München von heute verknüpft, aber drumherum finden sich reichlich skurrile, manchmal irritierende, manchmal hübsch makabere Episoden, die dem eigentlichen Ernst der Sache nicht recht angemessen erscheinen. Damit werden natürlich nur mal wieder unsere festgefahrenen Konzeptionen von dem, was sich gehört und was nicht über den Haufen geworfen, und man sieht Achternbuschs Filmen jedesmal die Freude darüber an. Das soll nicht bedeuten, dass es ihm mit einigen Dingen nicht doch bitter ernst ist. ich jedenfalls würde absolut nicht unterstellen wollen, er habe Bilder aus dem Ghetto zu einem nichtseriösen Zweck eingesetzt, ihm sei es nicht um ein humanistisches, politisches Statement gegangen, im Gegenteil, aus diesen Szenen spricht mehr Autorität, Engagement und Ehrlichkeit, als man gewöhnlich in solchen Situationen antrifft. Aber Achternbusch macht es uns eben nicht leicht, lädt uns eben nicht zum bequemen Konsum eines Betroffenheitsfilmchens ein, sondern scheint uns mitzuteilen, wenn ihr unbedingt die griffigen Botschaften haben wollt, müsst ihr auch den Rest schlucken, jenen Rest, der nicht so leicht konsumierbar ist. Das alles macht aus diesem Film noch lange kein Meisterwerk, jedenfalls nicht in meinen Augen, aber der Achternbusch demonstriert noch immer seine souveräne geistige und künstlerische Unabhängigkeit, stellt sich locker über alle Trends und Zwänge, macht wie man es so schön hip sagt, sein Ding seit eh und je, mit dem Resultat, dass man sich streckenwiese ziemlich langweilen kann, dann aber wieder uneingeschränkt gefesselt ist durch den bösen, hintergründigen und grotesken Witz und eine immer wieder einbrechende Ernsthaftigkeit. Wahrscheinlich werden sich an diesem Typen für immer und ewig die berühmten Geister scheiden. (1.6.)