Martha von Rainer Werner Fassbinder. BRD, 1973. Margit Carstensen, Karlheinz Böhm, Peter Chatel, Gisela Fackeldey, Barbara Valentin, Günter Lamprecht, Wolfgang Schenk

   Nach einem ganzen langen Jahr ohne Oldies jetzt gleich zum Auftakt einer, na, wenn das kein gutes Omen ist. Vorliegende Ehehorrorgeschichte bietet zwar nichts neues, sofern man mit Fassbinders Filmen ein bisschen vertraut ist, aber andererseits ist es auch genau aus diesem Grund ganz nett, sich mal wieder für zwei Stunden in sein merkwürdiges Universum entführen zu lassen, in dem Kunst und Kitsch so dicht beieinander liegen, in dem die Schauspieler immer so schön hölzern daherreden und die Texte eher in ein Theater zu gehören scheinen. Dazu dann noch die Schleierfotografie vom Herrn Ballhaus und ein paar ausgesprochen schwindelerregende Kamerakreisel, wie anfangs in Rom vor der Botschaft, als sich Martha und ihr Zukünftiger zum ersten Mal in die Augen schauen, und fertig ist ein morbides, schillerndes und trauriges Stück Kino, wie es eigentlich nur von diesem Regisseur kommen konnte.

   Martha gerät von einer Hölle in die andere: Der Vater ist kalt, seelenlos und völlig körperfeindlich. Er verachtet seine Tochter demonstrativ und wehrt jeden Annäherungsversuch brüsk ab. Beim gemeinsamen Urlaub in Rom fällt er um und ist tot. Die Mutter daheim säuft schon seit zwanzig Jahren, was sie nun endlich nicht mehr verbirgt. Sie verachtet Martha ebenfalls als alte Jungfer und tyrannisiert sie rücksichtslos. Nach mehreren Suizidversuchen landet sie im Heim. Martha lernt Helmut kennen und wird von ihm ruckzuck geheiratet. Langsam aber sicher löst er ihr eigenes Leben auf und macht sie zur Gefangenen. Er kündigt ohne ihr Wissen ihren Job in der Bibliothek zu Konstanz, der ihr viel bedeutet hat. Er zieht mit ihr in eine große, dunkle, abgelegene Villa. Er lehnt ihren Musikgeschmack ab, drückt ihr Musik nach seinem Sinn auf und bringt sie auch noch dazu, ein Buch über Brückenstatik zu lesen, woraus sie dann auswendig rezitiert, um ihm eine Gesprächspartnerin zu sein. Er schafft das Telefon ab und will sie verpflichten, das Haus gar nicht mehr zu verlassen. Und schließlich tötet er ihre Katze und erweist sich als gewalttätiger Liebhaber, der ihr wie ein Vampir in den Hals beißt. In hysterischer Panik unternimmt sie einen Ausbruchsversuch, verunglückt aber mit dem Auto und wird für immer an den Rollstuhl und damit an Helmut gefesselt sein, der mithin am Ziel seiner Träume angelangt sein dürfte.

 

   Eine geradlinig und intensiv erzählte Geschichte von Erniedrigung und Selbsttäuschung. Margit Carstensens Darstellung transportiert das Konzept ihrer Rolle perfekt: Mal rührt sie einen zu tiefstem Mitleid, mal erscheint sie einfältig, dumm, abstoßend. Man weiß nie, ob man diese Frau nun als Opfer bedauern oder ihr vorhalten soll, dass sie an ihrer Misere ein gerütteltes Maß eigener Schuld trägt. Wie ein naives, glotzäugiges Dummchen lässt sie sich von Helmut überwältigen, eine Frau von Dreißig als sich zierender Teenager. Viel zu lang nimmt sie seine oft sadistischen Demütigungen ohne Auflehnung hin, wehrt sich einfach nicht, unterdrückt jedes ungute Gefühl in sich und will auch von anderen nichts Negatives über den geliebten Gatten hören. Mit eiserner Entschlossenheit klammert sie sich an diese Ehe, die sie endlich vom wenig prestigeträchtigen Schicksal der ewigen Jungfer erlöst hat, so, als sei dies ihre letzte Chance. Die freundschaftlichen Annäherungen ihres jungen Kollegen aus der Bibliothek weist sie kühl zurück, nun ganz im Bewusstsein ihres Rufs als verheiratete Frau. Sie stellt sich zu lange blind und zwar wider besseres Wissen, und das ist vielleicht das Verhängnisvolle daran. Fassbinder verurteilt sie gar nicht und schon erst recht nimmt er Helmut nicht in Schutz. Der Mann genießt seine Macht als Aphrodisiakum, weil er gleich gesehen hat, welchen Typ von Mensch er in Martha vor sich hat. Er kann sie beliebig manipulieren, kann ihr Dinge einreden oder ausreden, kann sie an ihrem Verstand zweifeln lassen, reduziert sie aufs Heimchen in der Küche und auf die jederzeit im Bett benutzbare Beischlafpuppe. Mit wüster Aggression reißt er sie jedesmal an sich, fällt über sie her, eine Vergewaltigung, die er jedoch als leider unkontrollierbaren Beweis seiner unendlichen Liebe ausweist. Mit fein modulierter Stimme geht er zu Werke, und jedesmal, wenn er ihren Namen so unnachahmlich prononciert ruft, ertönt der Oberlehrer, der seiner unartigen kleinen Schülerin eine neuerliche Lektion zu erteilen wünscht. Viele Situationen in diesem Malstrom erscheinen vorhersehbar, und dennoch windet man sich jedesmal von Neuem, weil alles so haarscharf am Rande der Realität oder auch genau mitten drin platziert ist. Natürlich geht es hier um ein Melodram mit allen Zutaten, aber eines direkt aus unserer deutschen Bürgerhölle, gemischt aus Elternhaus und Ehevertrag, angereichert mit Unterdrückung und Selbstverleugnung. Eine Kunstwelt mit mehr als genügen Bezügen nach draußen. (11.1.)