"Crash" (#) von David Cronenberg. Kanada, 1996. James Spader, Holly Hunter, Elias Koteas, Deborah Unger, Rosanna Arquette
Auf der eher prestige- denn kassenträchtigen Jagd nach immer neuen Darstellungsformen menschlicher Extreme hat Meister Cronenberg als ein Berufener die Schraube fürs erste wieder eine Drehung weiterbewegt. Der Horror entspringt diesmal allerdings nicht den bewährten Ekelphantasien aus den Abgründen des Unterbewußten, sondern einer drastisch zugespitzten Wiedergabe dessen, was ist und was noch werden könnte. Denn wer mag schon ausschließen, daß im Zeitalter der Adrenalinjunkies die Leute ihre Kicks irgendwann tatsächlich nur noch aus Katastrophen, aus Chaos und Zerstörung beziehen können? Das Auto als Fetisch ist eine bekannte Größe, über die zunehmende Kälte und Anonymität der promisken Gesellschaft wird gern und viel lamentiert, ganz zu schweigen vom Verfall jeglicher Moral, also wie groß ist der Schritt hin zu einem Kerl namens Vaughan, der Unfälle geil findet, sich an Narben, abgetrennten Köpfen, zerschnittenen Leibern und dergleichen delektiert, es eigentlich nur noch in Unfallautos mit Unfallopfern treiben kann, in seiner Todessucht die bekanntesten Crashs der Geschichte nachstellt, wie etwa den von James Dean oder den von Jayne Mansfield und eine kleine Gruppe Gleichgesinnter um sich schart, die seine perversen Spielchen gern mitspielen? Eine monströse, dekadente Männerphantasie oder aber ein Abbild, das allzubald Realität werden könnte, oder sogar schon ist? Cronenberg provoziert natürlich, aber das allein ist keine Kunst mehr. Er provoziert durch kaltes Styling, durch roboterhaft, konsequent entpersonalisiert agierende Darsteller (was bei Charakterköpfen wie Hunter oder Spader ein echtes Problem ist) und durch frustrierende, ermüdende Darstellungen von Technosex in allen Varianten. Peter Suschitzkys gleitende, kriechende, suggestive Kamera, seit vielen Jahren ein Markenzeichen Cronenbergs, zieht an Chromdetails entlang, an kalten, harten, zersplitterten, glitzernden Formen, wirft von fern einen Blick auf zwanzigspurige Stadtautobahnen, oder schneidet von einem kopulierenden Paar zum nächsten, fast wie in einer Nummernrevue, aber ohne jeden Spaß. Ein Film der abstößt, manche vielleicht fasziniert, aber mich nicht, der die Leute, sofern sie nicht gleich den Saal verlassen, unruhig werden läßt, und dies sicherlich mit Bedacht. Mit kühl distanziertem Blick werden die austauschbar erscheinenden Personen betrachtet, ihre bisweilen groteske, grausame Suche nach Befriedigung, ihre Verstümmelungen, ihre Gleichgültigkeit, ihr Tod. Natürlich wird nichts bewertet, das gehört in einem aktuellen Film zum Spiel, kann also eigentlich nicht als ein bahnbrechendes, tabulösendes Element verbucht werden. Die neutrale, auf reine Demonstration reduzierte Haltung des Chronisten erlaubt jedwede Deutung, die uns arme Konsumenten immer wieder in das gleiche Dilemma des mündigen Bürgers stürzt: Wir müssen uns selbst eine Meinung bilden. Die einen vermissen dabei persönliche Leitgedanken des Künstlers, andere wiederum loben ihn, weil er den Zuschauer in kein Interpretationskorsett zwingt, ihm freie Auswahl bei der Beurteilung läßt. Dieser Zwiespalt zeichnet den modernen Film aus, und er wird für immer unauflösbar bleiben - cool für die Postmodernen, verwerflich für die Moralisten. Cronenbergs Film nun ist eine künstlerisch sicherlich sehr geschlossene und in sich überzeugende Sache, eine nicht allzu visionäre, weil schon zu einem guten Teil an der Realität orientierte Studie über extremen Hedonismus und Egoismus. Er verfügt über die nötigen Mittel, Kälte und Leere im sogenannten zwischenmenschlichen Bereich fühlbar werden zu lassen. Ob man sich jetzt davon irgendwie beeindrucken läßt, oder an der ein oder anderen Stelle doch fast unfreiwillige Komik spürt, hängt vom jeweiligen Temperament ab. Ich neige allerdings eher zur letztgenannten Gruppe. (6.11.)