"Message to Love" von Murray Lerner. England, 1970/95.

Gut zwölf Monate nach Woodstock, Ende August 1970, brachen 600.000 Leute über die kleine Isle of Wight an Englands Südküste herein, also nochmal ein paar Hunderttausend mehr als im Jahr zuvor in Amerika. Vier Tage lang sollten planmäßig Love, Peace & Happiness zelebriert werden zur musikalischen Begleitung der Doors, der Who, Jimi Hendrix, Miles Davis, Joni Mitchell, Ten Years After, Jethro Tull, ELP, Moody Blues, Leonard Cohen, Taste und anderer. Tolle Musik also, wenn man von ein paar Luschen wie Joan Baez oder Kris Kristofferson absieht, aber diese Musik, die im Film obendrein oft etwas ungeschickt zerschnitten und gekürzt dargeboten wird (hier kann Lerners Regie nicht mit Wadleighs Woodstockfilm mithalten), ist nicht das interessanteste dabei. Eigentlich geht es nämlich darum, weshalb dieses Festival, das letzte große seiner Art, wie auch der Veranstalter am Schluß hellsichtig bemerkt, die entscheidende Krise der Hippieära klar und deutlich zutage treten läßt: Drei Jahre nach dem euphorisch gefeierten Summer of Love '67 hatten sich die Dinge geändert. Der Rockzirkus war drauf und dran, gründlich kommerzialisiert zu werden, die Free Concerts und Happenings der späten Sechziger hatten ihre Superstars hervorgebracht, die jetzt gemeinsam mit Managern und Plattenkonzernen daran gingen, den erarbeiteten Ruhm auszuschlachten. Sie taten's einfach nicht mehr für umsonst, und das mochten die Fans nicht einsehen, denn die waren noch immer dieselben und wollten auch immer noch dasselbe. Drei lumpige Pfund wollten die Organisatoren von ihnen haben, eigentlich eine lächerliche Summe, doch wie aus den immer wieder eingeschnittenen Interviews ersichtlich ist, ging es eher ums Prinzip. Plötzlich war das Feindbild da, die Halbgötter des Business, die Absahner, die Glamourstars, die alle Werte und Träume zu verkaufen drohten. Tiny Tim ist natürlich für freien Eintritt, will aber seine Kohle pünktlich vor dem Auftritt sehen, und Joan Baez fragt, warum zum Teufel sie sich von einer Schar Hippies dazu zwingen lassen sollte, für lau zu spielen. Togetherness, Vibrations, freier Sex und freie Drogen fortan nur gegen Cash und in eingezäunten Arealen? Ein durch Hundepatrouillen geschützter Zaun rund ums Festivalgelände symbolisierte die Schizophrenie der Lage: Da sollten Liebe und Freiheit hochleben, mußten aber durch grimmige Schläger und ein Stück Wellblech vor vermeintlichen Störenfrieden bewahrt werden. Nur wer zahlte, durfte einer von ihnen sein, konnte dazu gehören. Die Gemeinde schottete sich ab. Es kam zu Krawallen und erbitterten Diskussionen zwischen den Organisatoren und den Fans. Frustration, Enttäuschung und schließlich Resignation machten sich breit, gipfelnd letztlich in der Einsicht, daß es so nicht mehr weitergehen konnte. Vernunft, Fairness und Friedfertigkeit waren anders als in Woodstock nicht länger Basis des gegenseitigen Umgangs, der Ton war rauher, aggressiver, gewalttätiger geworden. Ein ironisch brummelnder Kristofferson mutmaßt, daß die Leute jeden Moment ihre Gewehre rausholen würden, und eine recht verstörte Joni Mitchell fordert mit zitternder Stimme etwas mehr Respekt für die Künstler. Dazwischen immer wieder beschwörende Appelle an den common sense der Besucher und wütende Proteste aus dem Publikum, nur eine konstruktive Diskussion kam nicht zustande. Ein guter, ausdrucksstarker, vielschichtiger Film, ein Film für Nostalgiker, die einfach die Musik lieben, ebenso wie für diejenigen, die wissen wollen, wie es eigentlich zum Kollaps dieser einst so großen und einflußreichen Bewegung kommen konnte. Kunst und Kommerz bildeten damals eben noch echte Gegenpole. Aus heutiger Sicht muß das unbegreiflich erscheinen, eine Posse aus längst vergangenen Tagen. (30.8.)