"Nixon" (#) von Oliver Stone. USA, 1995. Anthony Hopkins, Joan Allen, James Woods, Mary Steenburgen, Paul Sorvino, Powers Boothe, Bob Hoskins, E.G. Marshall, Madeline Kahn

Ollie Stone has struck again, und wie eigentlich immer stolpert man leicht beduselt, betäubt und verwirrt zurück in den Alltag, mit drei geballten Stunden Kino à la Stone hinter sich, dem nach wie vor pathetischsten Regisseur Hollywoods. Keiner packt durchgängig solch "große" Themen an wie er und keiner tut es auf diese Weise, soviel ist mal klar. Ob es nun Präsidenten sind, Rockstars, Vietnam, die Medien oder die Börse, stets geht es im Grunde um Amerika, um diese Mischung aus Haß und Liebe, aus bitterer Anklage und patriotischer Verklärung, aus Verschwörungstheorien und idealistischer Verzweiflung. Mit jedem Film kämpft Stone um seinen eigenen Standpunkt zu all dem, und auch diesmal ist er seinem Ziel keinen Schritt näher gekommen. Wir als Konsumenten übrigens auch nicht.

 

Die Geschichte des Bauernsohns aus Whittier in Orange County/Kalifornien, der es als Tricky Dicky bis zum Präsidenten der USA in bewegten Zeiten brachte, von Korea über McCarthy, Kuba, Kennedy, Vietnam bis hin zu Watergate einen weiten Weg zurücklegte, und den zweifelhaften Ruhm erlangte, als erster seiner Gattung an einem politischen Skandal zu scheitern, der folglich auch den meisten Raum in dem Film einnimmt. Ein Mann mit vielen Facetten und zumindest dem wird Stone vollauf gerecht. Sein üblicher stakkatohafter, fast hysterischer Clipstil zwischen Fiktion und Dokumentation, zwischen authentisch nachgestellten und -erzählten bzw. hinzugedachten und -erfundenen Szenen ist für mich einmal mehr das größte Hindernis auf dem Weg zu klarem Verständnis und zu einer eindeutigen Ortung der Position des Künstlers. Denn wenn Stone schon mit soviel Emotion und Engagement zur Sache geht, kann man ja wohl davon ausgehen, daß er Nixon nicht gleichgültig gegenübersteht, doch im hitzigen Wirbel von Bildern und Musik mit all den rasanten Schnitten und Sprüngen in der Erzählchronologie geht eine konkrete Bestimmung verloren. Natürlich bilde ich mir zuerst selbst mal gern ein Urteil, aber ebenso gern vergleiche ich das anschließend mit dem des Regisseurs, was bei Stones manchmal extrem zwiespältigen bis widersprüchlichen Aussagen schwer fällt. Mal gelingt ihm brillante und bissigste Politsatire - hier vor allem im Zusammenhang mit Hoover (Bob Hoskins als zickig-schwuler Intrigant und eindeutig die Phantasie eines konservativen Moralisten) und Nixons schmutzigen Ränkespielen (Chappaquiddick etc.) - und mal versteigt er sich in nebulöses Geraune (die beiden Kennedymorde, natürlich!) bzw. ödes und sinnloses Pathos, vor allem gegen Ende, das sich mindestens eine halbe Stunde zu lang hinzieht. Mal bemüht er sich durchaus mit Erfolg um eine einfühlsame und komplexe Charakterisierung des Menschen Nixon und mal geraten ihm historische Ereignisse wie die Treffen mit Mao und Breshnev zu plattem Kasperltheater. Aber wo ich schon dabei bin - beim Menschen Nixon liegen die Stärken des Films, natürlich auch aufgrund der wirklich phantastischen Darstellung von Anthony Hopkins, dessen magnetische Präsenz den Film auch über die lange Distanz zusammenhält, wobei man einige sehr gut besetzte Nebenrollen nicht vergessen sollte: Joan Allen als Pat, James Woods als Haldeman ("I'm the President's son-of-a-bitch") oder Paul Sorvino als Kissinger zum Beispiel. Hier wird kein strahlender, weltgewandter Siegertyp porträtiert, sondern ein unbeholfener, schwitzender, nach Worten ringender, von quälenden Minderwertigkeitskomplexen geplagter Außenseiter, der früh eingetrichtert bekam, daß er um alles im Leben kämpfen muß, und der am Schluß einfach nicht damit aufhören kann, auch als es gar nicht mehr nötig ist. Ein Verlierer, der nur durch den Tod des älteren Bruders aufs College kommt, und der schließlich wohl auch nur durch die Ermordungen der beiden Kennedys dahin kommt, wohin er und seine nicht minder ehrgeizige Frau Pat stets wollten. Ein dunkler, vom Volk bis zuletzt irgendwie ungeliebter Typ, der genau darunter litt und zu Kennedy ein traumatisches Verhältnis hatte: Zum Schluß steht er vor dessen Bild und faßt die ganze Geschichte der letzten fünfzehn Jahre treffend zusammen: Wenn die Amerikaner Kennedy sehen, sehen sie, wie sie gern wären. Wenn sie Nixon sehen, sehen sie, wie sie sind. Ein verbissener, verbal alles andere als eleganter Intrigant, politisch krass konservativ, dessen tatsächliche Verdienste um Frieden und die Öffnung des Ostens diskutiert werden müßten. Er trieb den Vietnamkrieg erst zur Eskalation, um sich später damit zu brüsten, ihn beendet zu haben. Er ließ Polizei und Militär auf Demonstranten einknüppeln und auch -schießen, um sich am Ende als Friedensstifter im eigenen Land hinzustellen. Mit sechzig erkannte er, daß das System, dem er diente, ein Monstrum war und konnte nicht fassen, daß schon ein neunzehnjähriges Mädchen dies erkannt hatte. In der Wahl seiner Verbündeten war er nicht gerade zimperlich, ohne langfristig über die Folgen seiner riskanten Allianzen nachzudenken. Ein wirklich vielschichtiger Mann, nach Stones Lesart von zahlreichen, auch aus seiner Kindheit im streng nach Quäkeridealen geführten Haushalt herrührenden Dämonen getrieben, stets im Kampf mit sich selbst und den vielen Feinden, von denen er sich umgeben sah. Allein wegen dieser sehr bemerkenswerten Charakterstudie lohnt sich der Film wohl, obwohl er anstrengend ist, wie gesagt zu lang und in vielen Passagen im Urteil zumindest zweifelhaft. Ein echter Ollie-Stone-Film also, frag- aber auch diskussionswürdig, und deshalb wohl doch interessanter als der allermeiste Hollywoodauswurf, der sonst zur Zeit wieder mal unsere Kinos blockiert. (6.3.)