"Secret défense" (Geheimsache) von Jacques Rivette. Frankreich/ Schweiz/Italien, 1997. Sandrine Bonnaire, Jerzy Radziwilowicz, Grégoire Colin, Laure Marsac, Francoise Fabian
Rivettes enorm fruchtbares Filmschaffen in den Neunzigern hat uns ein breitgefächertes Programm vorgestellt: Eine geniale Literaturverfilmung, einen Historienfilm, ein eher leichtes Musical und nun eine Familientragödie, alle in sich verschieden, und doch mit der unverwechselbaren Handschrift ihres Regisseurs ausgestattet - und natürlich sehr sehr lang. Hier geht es über glatte drei Stunden, doch spürt man das eigentlich nicht, so konzentriert, faszinierend und souverän ist der Film in seinem stetigen Erzählfluß. Ein Geschwisterpaar sieht sich nach fünf Jahren wieder mit dem Tod des Vaters konfrontiert, und muß zugleich auch noch den noch länger zurückliegenden Tod der Schwester aufwühlen. Der undurchsichtige Geschäftspartner des Mannes und das ehemalige Familiengut stehen im Mittelpunkt der Spurensuche, an deren Ende zwei Menschen einen sinnlosen, im besten Sinne des Wortes tragischen Tod finden, und ein furchtbares Geheimnis endlich enthüllt wird. Rivette schildert das strenge Geschehen in ruhigen, vom Herrn Lubtschansky wie immer brillant beleuchteten Bildern, läßt das Drama ohne auffällige Dramaturgietricks abrollen, läßt es viel mehr seinen eigenen Rhythmus finden, der es dann weiter und weiter treibt. Man sieht die Menschen sehr oft auf Bahnhöfen, auf Reisen, auf die Bahn, die Métro warten, man sieht sie also nicht nur an bestimmten Orten, sondern immer auch auf dem Weg dorthin, in rastloser Bewegung, in ewiger Unruhe. Sylvie wird von ihrem Bruder aus einer scheinbar gesicherten, gefestigten Existenz gerissen und scheint seitdem entwurzelt, aufgestört. Ihre Selbstbewußtheit und Beharrlichkeit bewahrt sie nicht vor verhängnisvollen Irrtümern und Fehlern, so wie auch ihr Tod letztlich das Ergebnis grotesker Mißverständnisse ist. Eine Verkettung, der Rivette jedoch diesmal keine Komik abgewinnt, die viel eher düster, erschreckend wirkt, so wie die grausame Wahrheit, die Sylvie schließlich doch von ihrer Mutter erfährt. Ein wunderbar erzählter und gespielter, perfekt inszenierter, hochintensiver Film, der mit zunehmender Dauer einen beeindruckenden Sog entwickelt und einen nicht mehr losläßt. (28.12.)