„Les enfants du Marais“ (Ein Sommer auf dem Lande) von Jean Becker. Frankreich, 1999. Jacques Gamblin, Jacques Villerert, Michael Serrault, André Dussolier, Isabelle Carré, Eric Cantona
Der etwas doofe deutsche Titel vereinfacht eine ohnehin recht übersichtliche und einfache Sache noch mehr, denn es geht ja eigentlich nicht um einen Sommer auf dem lande, sondern, wie der Originaltitel richtig sagt, um Leute aus dem Marais, einem idyllischen, weltabgeschiedenen Flußtal irgendwo in Frankreich. Dort leben zwei Sorten von Menschen: Die in der Stadt und die im Sumpf. Die in der Stadt schauen auf die im Sumpf verächtlich herab, doch die im Sumpf kümmern sich nicht darum, sie arbeiten ehrlich, leben vom Wasser, vom Wald, vom Land. Garris läßt sich nach dem ersten Weltkrieg treiben und bleibt dort hängen, bei Riton und seiner struppigen Familie, mit der gemeinsam er vieles erlebt, Schönes und Trauriges, und wo er viele Menschen kennenlernt: Die hübsche kleine Marie, die er liebt, die jedoch nach Nizza geht. Den alten Richard und seine Familie, hochnäsige Bourgeois, nur der Alte, der selbst aus dem Sumpf kommt, hat seine Ursprünge noch nicht vergessen und wird ein guter Freund der beiden Männer. Den ruppigen Boxer, der mit Riton aneinandergerät, ins Gefängnis muß, seine gesamte Existenz verliert und nun auf Rache sinnt. Den verschrobenen Amedée, dessen Familie stark unter dem Kriegstrauma leidet, der immer im besten Anzug herumradelt und die Freiheit und gute Bücher schätzt. Erzählt werden die kleineren und größeren Abenteuer dieser Leute von Ritons kleiner Tochter, die sechzig Jahre später ihre Erinnerungen aufschreibt und auf das herabblickt, was vom Marais übrig geblieben ist: Ein Carrefour-Supermarkt, eine breite Straße, ein großer Parkplatz, kurz Beton statt herrlicher Natur.
Allein diese letzte Note ist ein dunkler, schärferer Ton in einem Film, der sich ansonsten eher den schönen, ursprünglichen, sogenannten „einfachen“ Dingen des Leben widmet: Der Naturverbundenheit, der Freundschaft, der Liebe, der Treue, der Ehrlichkeit, und natürlich den kleinen Schwächen, wie der Liebe zum Wein, der Trägheit, der liebenswerten Einfalt, wie im Falle Ritons. In wunderschönsten Bildern schwelgt Becker, etwa dem Geiste Marcel Pagnols oder Jean Gionos folgend, im Licht, in Farben, in den Geräuschen der Wälder und Sumpfwiesen, und gerade als vermuffter Stadtbewohner kann man sich ja manchmal gar nicht satt sehen an sowas. Es ist in diesem Fall auch mal egal, daß die ganze Geschichte nicht gerade sehr komplex oder differenziert oder irgendwie kritisch ist, nein, sie ist einfach schön, menschlich, mal sehr komisch, mal traurig, berührend, eindringlich und hervorragend gespielt. Und obendrein ist er eben nicht so naiv, uns eine Fortdauer der Idylle vorgaukeln zu wollen, er weiß um die Vergänglichkeit dieses Lebens, weiß, daß Modernität und sogenannter „Fortschritt“ einer Walze gleich über alles fahren, was da im Weg ist. Was bleibt, sind Bilder, ist Nostalgie, aber wenigstens die will man sich von Zeit zu Zeit wohl mal gestatten. (12.9.)