„Die innere Sicherheit“ von Christian Petzold. BRD, 2000. Julia Hummer, Barbara Auer, Richy Müller, Bilge Bingül, Günther Maria Halmer

Jeanne und ihre Eltern sind auf der Flucht, wie es scheint mindestens schon so lange, wie Jeanne am Leben ist – fünfzehn Jahre. Sie müssen aus Portugal fliehen, schlagen sich mit wenig Geld nach Deutschland durch, versuchen dort, über alte Kontakte zu Geld für eine neuerliche Ausreise zu kommen. Sie schlüpfen in Hamburg in einem leerstehenden Haus unter, und Jeanne trifft den Jungen wieder, mit dem sie bereits in Portugal geflirtet hat. Sie verliebt sich in den Jungen und kriegt Schwierigkeiten mit den Eltern. Die rauben notgedrungen eine Bank aus, doch die Mutter muß einen Menschen erschießen und der Vater wird selbst angeschossen. Sie fliehen zu dritt mit dem Auto, nachdem sich Jeanne schweren Herzens von Heinrich losgerissen hat. Auf der Landstraße schlägt dann aber der Staat zu.

 

Ein außerordentlich ruhiger, intensiver, subtiler Film, dessen Vieldeutigkeit und Komplexität bereits im Titel angedeutet wird. Das alte Schlagwort zur Terroristenbekämpfung in den Siebzigern und Achtzigern wird in seiner Bedeutung ausgedehnt auf alle vorkommenden Systeme, staatliche wie familiäre. Natürlich ist die sprichwörtliche Staatsgewalt noch reichlich präsent: Überfallartig werden illegale Einwanderer auf einer Autobahnraststätte gestellt, überfallartig wird ein ehemaliger Mitstreiter von der Polizei zur Strecke gebracht und ebenso überfallartig wird die Familie mitsamt des Autos am Schluß regelrecht von der Straße gefegt. Verbrechensbekämpfung in seiner rücksichtslosesten, kompromißlosesten, brutalsten Art. Aber noch kein Grund für eine Anklage gegen das System, denn dies ist nicht das Anliegen dieses Films. Er konzentriert sich auf das Menschliche, auf die Augenblicke des Miteinanders, auf die im Lauf der Zeit festgeklopften Regeln, auf die erschreckenden Deformationen des Normalen, Natürlichen, besonders eben aus der Sicht der jungen Jeanne. Die hat sich zwar in vielem mittlerweile dem Rhythmus der Eltern angepaßt, hat sich fast die gleiche Wachsamkeit, die gleiche Ruhelosigkeit, das gleiche mißtrauen zugelegt (aber eben doch nicht ganz) und sich daran gewöhnt, nirgendwo zuhause zu sein, niemals zur Ruhe zu kommen, keine Kindheit, keine Jugend, keine Freunde, keinen einzigen vertrauten Menschen zu haben, mit Ausnahme eben der Eltern. Die wirken oft merkwürdig entrückt, verhärtet und zugleich hilflos, dann wieder um Zuneigung bemüht und andererseits völlig verloren in einer Welt, die einfach keinen Bestand mehr hat. Parallel zu dem Staat Deutschland, so wie er sich aktuell darstellt, wird auch ein Bild des Terrorismus, so wie er sich heute darstellt, präsentiert: Der verstreute Rest lebt  (wenn er denn lebt) dauerhaft im Untergrund, verbissen an verblichene Ideale gekettet, gnadenlos gejagt und in ständiger Furcht, entdeckt oder verraten zu werden, viele sind abgebröckelt und haben sich in bürgerlichen Existenzen eingerichtet, wollen von ihrer Vergangenheit am liebsten nichts mehr wissen, andere haben sich zwar vom Terrorismus losgesagt, aber auch nicht ganz die Integration geschafft und dümpeln nun im Halbfeld zwischen Illusion und Alkoholismus umher, wieder andere halten lose Kontakt zur alten Szene, helfen mehr aus schlechtem Gewissen denn aus Überzeugung und wissen vor allem nicht, wo sie eigentlich stehen. Einsamkeit, Hilflosigkeit und Orientierungslosigkeit zeichnet sie alle aus, vor allem Jeannes Eltern, für die dieses Leben fast schon zur unentbehrlichen Gewohnheit geworden ist. Sie wüßten vermutlich gar nicht mehr, wie sie einen normalen Alltag bestreiten, wie sie als normale Familie in normalen Umständen miteinander leben sollten. Immer auf der Hut, immer auf der Flucht, mit Identitäten, Währungen, Wohnorten jonglierend, immer mit der bangen Frage, ob die alten Mitstreiter wohl noch verläßlich sind und ständig verdrängend, daß all dies nicht auf immer und ewig so weitergehen kann. Sie haben Überlebensregeln gefunden und halten an ihnen mit der selben Rigorosität fest, wie der Gegner, der deutsche Staat seine Linie vertritt. Gefühle haben fast keinen Raum hier und die gelegentlichen Beischlafgeräusche, die die Tochter mit anhören muß, sollten nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Eltern in einem fürchterlichen Vakuum leben. Jeanne versucht schließlich, aus diesem Geisterleben auszubrechen, doch auch in Heinrich findet sie nicht, was sie braucht. Gegenseitiges Mißtrauen und Lügen erschweren die schüchternen Annäherungsversuche, und als sich Jeanne ihm schließlich ganz offen anvertraut, läuft er sogleich zum Telefon. Als sich dann das Auto mit den Eltern im Kornfeld überschlägt und sie herausklettert, steht sie vor dem Nichts. Mit dieser Figur ist dem Autor sicherlich eine der bemerkenswertesten Charakterporträts im deutschen Film der letzten Jahre gelungen, und das hat etwas zu bedeuten, denn gerade Jugendliche waren oft genug Hauptpersonen in bewegenden, tollen Filmen. Dieser hier ist zweifellos toll, mehr beklemmend allerdings als bewegend, mit perfektem Timing, sehr viel Gespür für Schauplätze und Atmosphäre, unterstützt von herausragend guten Schauspielern und einer hochintensiven, großartigen Dramaturgie, die auf jegliche Effekthascherei verzichtet und sich ganz konzentriert auf die wenigen Menschen, die hier zu sehen sind. Man kann eigentlich nur feststellen, daß der deutsche Film um eine beachtliche Attraktion reicher geworden ist. (11.2.)