„Eureka“ (#) von Aoyama Shinji. Japan, 2000. Koji Yakusho, Aoi Miyazaki, Masaru Miyazaki, Yohichiroh Saitoh

Ein Wahnsinniger mit einer Pistole bringt einen Vorortbus in seine Gewalt, und bis auf drei sterben alle Menschen darin. Die drei sind: Der Fahrer und zwei Schulkinder, Geschwister, Kozue und Naoki. Ihr Leben wird nie mehr sein wie vorher. Die Kinder verfallen in Apathie, Schweigen. Ihre Mutter verläßt sie, der Vater fährt sich an einem Baum tot. Zu zweit leben sie in einem abgelegenen Haus, und nur ein etwas verrückter Cousin kommt, um sich um sie zu kümmern. Der Fahrer, Makoto, kehrt zunächst nach einiger Zeit zu seiner Familie zurück, wo er etwas reserviert aufgenommen wird. Der Grund ist, daß mehrere Frauenmorde passiert sind und man insgeheim den doch recht erschütterten und sich merkwürdig gebärdenden Makoto verdächtigt. Er verläßt die Familie wieder, sucht die beiden Kinder auf, richtet einen ausrangierten alten Bus wieder her und nimmt die Geschwister und den Cousin mit auf eine lange Reise durch das Land, einfach um irgendwo anders ganz neu anzufangen und alles hinter sich zu lassen. Das Vorhaben gelingt nur für ihn und das Mädchen. Der Junge Naoki ist tief in seinem Innern vollkommen verstört, greift eine Frau mit einem Messer an und endet schließlich in einer psychiatrischen Anstalt, während Makoto Kozue davon abhalten kann, sich von einem Berg in die Tiefe zu stürzen, und mit dem Mädchen zusammen nach Hause fährt. Vielleicht wird sie auf Dauer ihr seelisches Gleichgewicht wiederfinden.

 

Ganz zuletzt leuchten plötzlich, unvermittelt Farben auf, so als habe ein neues Leben begonnen nach dreieinhalb Stunden in bleichem, verzweifeltem Schwarzweiß. Dreieinhalb Stunden lang meditiert dieser brillante, großartig eindrucksvolle Film über drei Menschen, deren  Leben innerhalb einiger grausamer Momente vielleicht für immer zerstört wurde, in ein paar endlos langen Momenten, da vor ihren Augen Menschen sinnlos, brutal, blutig erschossen werden und sie selbst nur wie durch ein Wunder überleben. Die Szenen sind wie ein Alptraum, irreal und trotzdem greifbar realistisch in ihrem unerklärlichen, widerwärtigen und für die Kinder traumatischen Irrsinn. Das Trauma in der Zeit danach zeigt sich in den versteinerten Gesichtern der Kinder, die den Kontakt zur Umwelt fast völlig verlieren, und nur selten noch eine ersehnte Gefühlsreaktion zeigen. Sie sind nicht in der Lage, das Erlebte, das Gesehene, das Gefühlte zu verarbeiten. Makoto ist als Erwachsener in diesem Punkt zwar weiter, doch auch sein Leben ist in den Grundfesten erschüttert, ihn zieht es zu den Kindern, mit ihnen bildet er eine Art Schicksalsgemeinschaft, nur so zu dritt, so glaubt er, können sie das Vergangene überwinden und neu beginnen. Der Film reduziert die Handlung auf elliptische, oft nur schemenhaft angedeutete Elemente und konzentriert sich voll und ganz auf quälend lange und auch wieder berückend schöne, in ihrer Intensität kaum zu übertreffende Bilder, in denen rein intuitiv und atmosphärisch den Dingen nachgespürt werden soll, Dingen wie Gemeinschaft, Angst, Verletzlichkeit, Einsamkeit, Vertrauen, jenen Dingen also, die sich zwischen den Dreien ereignen und die ihre gemeinsame Reise prägen bis hin zu dem Ende, das zur Hälfte bitter und zur Hälfte hoffnungsvoll ist. Zugleich ist dies auch eine Meditation über ein modernes Japan, so wie es sich selten nur in neueren Filmen mitteilt, in einem enorm detaillierten, nachdenklichen, vielschichtigen Bildporträt ohne Worte, in Bildern aus Städten, Landschaften, suburbanen Einöden, schöner Meeresküste und sehr langen Straßen. Sehr deutlich wird immer wieder, daß die drei ihre normale Bindung zu ihren Mitmenschen weitgehend verloren haben, und sich eigentlich nur der Mann bemüht, diese Bindung irgendwie wieder aufzubauen. Also zeigen die Bilder auch eine große Einsamkeit und die Suche aus dieser Einsamkeit heraus zurück ins Leben. Ein Film der ganz elementaren Themen, zeitlos in diesem Sinne, von wahrhaft zeitloser Schönheit und Eindringlichkeit auch, unvergeßlich in vielen Momenten und in jeder Hinsicht großes Kino. (4.3.)