„Heaven“ (#) von Tom Tykwer. BRD/USA/Italien, 2001. Cate Blanchett, Giovanni Ribisi, Remo Girone, Stefano Santospago, Pini Mattia
Philippa will sich an dem Mann rächen, der durch skrupellose Drogengeschäfte Schuld ist am Tod ihres Mannes und am Unglück vieler Schulkinder. Sie deponiert eine Zeitbombe in seinem Büro, doch die Explosion findet erst in einem Fahrstuhl statt und vier Unschuldige sterben. Im Verlauf der Verhöre auf dem Turiner Polizeirevier stellt sich heraus, daß ein hoher Beamter mit dem Dealer paktiert, ihn deckt und auch auf Philippas Schicksal Einfluß zu nehmen gedenkt. Doch auch sie hat Hilfe: Filippo, ein junger Carabiniere verliebt sich in sie und verhilft ihr dazu, daß sie ihre Rache doch noch vollenden und anschließend mit ihm fliehen kann. Die beiden verstecken sich in der Nähe von Montepulciano und entkommen der Polizei schlußendlich in einem Hubschrauber, der höher und höher in den Himmel steigt, bis er nicht mehr zu sehen ist.
Nach einem Drehbuch von Krzysztof Kieslowski hat Tykwer den Film inszeniert, und man kann sicherlich sagen, daß es ihm wunderbar gelungen ist, den ganz speziellen Stil des Polen nachzuempfinden, jene Mischung aus Mystik, Langsamkeit, Sinnlichkeit, Meditation und Religiosität, stets stilisiert in hoch ästhetischen, nicht selten symbolisch stark befrachteten Bildern, für Genießer dieser Art von Kunst immer wieder ein unvergeßliches Erlebnis, für viele andere sicherlich schwer verdauliche, verschrobene Kost. Ich habe Kieslowskis Filme zum größten Teil besonders gemocht, und finde, daß Tykwer zumindest eine magische erste Stunde gelungen ist. Bis zu dem Zeitpunkt, da Philippa und Filippo in einem Milchwagen aus dem Präsidium fliehen und sich in die Toskana durchschlagen, ist der Rhythmus wunderbar intensiv, sehr ruhig und bedächtig, aufgeladen mit Spannung, Emotion und dem Versprechen, daß wir später über diese beiden interessanten Menschen mehr erfahren werden. Das Zusammenspiel von Bildern, Musik und den großartig agierenden Darstellern – vor allem Cate Blanchett ist einmal mehr ein wirkliches Erlebnis – funktioniert hier perfekt, es entsteht eine höchst wirkungsvolle, suggestive, dramatische und auch erotische Mischung aus menschlichem Schicksal, aus Gefühlen wie Wut, Verzweiflung, Liebe, fatalistischer Entschlossenheit und auch aus sehr stark inszenierter Oberflächenspannung, denn wie Philippa den Verbrecher doch noch erschießen und anschließend zusammen mit Filippo entkommen kann, ist schon effektvoll und mitreißend, glänzend getimt. Und genau dieses Timing verläßt Tykwer dann in der zweiten Hälfte, ganz überraschend und unverständlich eigentlich, denn diese zweite Hälfte ist viel zu kurz – nach knapp anderthalb Stunden endet der Film dann plötzlich – und hat außer einiger schöner Postkarten aus der Toskana wenig Erinnernswertes zu bieten. Wir kommen den beiden Protagonisten eben nicht näher, erfahren nicht mehr über sie, eine Beziehung wird zwar nachdrücklich behauptet, aber es fehlt einfach an Tiefe und Spannung. Möglicherweise fällt hier auch schon das Drehbuch flach, kann nicht an die Qualität der ersten Hälfte anknüpfen, aber auf jeden Fall hat Tykwer es nicht geschafft, seinen Rhythmus, sein Timing, die Intensität der ersten Stunde durchzuhalten, was ich in diesem Falle doch als sehr bedauerlich empfunden habe. Zwischendurch darf Philippa mal einen Satz sagen wie „Ich habe meinen Glauben verloren“, aber solch eine tiefgründige Behauptung, die natürlich dringend nach Erklärungen verlangt, bleibt recht beziehungslos im Raume stehen, während man sich bei Filippo wenigstens seiner sehr engen Familienbande vergewissern darf. Es wäre in diesem zweiten Teil einfach dran gewesen, die Oberflächen- in eine Tiefenspannung zu transformieren, die beiden Charaktere in den Vordergrund zu stellen und eingehender zu beleuchten, doch auf diesem Gebiet tut sich wenig, ist weder dem Drehbuch noch nachträglich der Regie etwas eingefallen, was der Qualität der Schauspieler angemessen gewesen wäre. Naja, so schaut man sich halt ein paar hinreißende Touristenimpressionen aus schöner Landschaft an und läßt den Film allmählich für sich ausklingen. Daß hier viel mehr drin gewesen wäre, ist keine Frage, und so ist der Film nach außerordentlich vielversprechendem Beginn doch nur zur Hälfte gelungen, zur anderen Hälfte leider etwas enttäuschend. Zumindest so ist es für mich kein Wunder, daß Tykwer in Berlin keinen Preis gewonnen hat – nur die Blanchett hätte natürlich einen verdient, ganz hundertprozentig. (6.3.)