Das Wunder von Bern von Sönke Wortmann. BRD, 2003. Louis Klamroth, Peter Lohmeyer, Johanna Gastorf, Mirko Lang, Birthe Wolter, Sascha Göpel, Peter Franke, Knut Hartwig, Lucas Gregorowicz, Katharina Wackernagel
Dies ist vor allem ein Film für Fußballfans. Oder ein Film für Schnulzenfreunde. Oder ein Film für Patrioten. Am besten für Leute, die all diese Eigenschaften in sich vereinen. Ich gehöre aber leider zu keiner dieser Gruppen, weshalb ich bekennen muß, daß mich Wortmanns gemütvolles Zweistundenwerk im großen und ganzen relativ unberührt gelassen hat, und erst recht kann ich nicht behaupten, wie unser Kanzler geheult zu haben während der Vorführung.
Wortmann will diesmal sehr viel, will alles. Nicht nur einen Film über ein gewonnenes Fußballspiel, klar, es war ja auch nicht nur irgendein Fußballspiel, nein, es war jenes legendäre Ereignis, das uns Deutsche wieder international hoffähig gemacht hat – oder so. Man war wieder wer – oder so. Wortman will darüber hinaus den Bogen spannen hin zur gesamten Epoche, will eine typisch deutsche Familiengeschichte aus jenen frühen Fünfzigern erzählen, eine Geschichte vom Vater, der nach elf Jahren aus russischer Gefangenschaft heimkehrt und sich daheim in Essen unter den Förderrädern der Zechen nicht mehr auskennt. Denn seine Familie hat elf Jahre lang gelebt, ohne ihn, hat sich durchgebissen, und nun kommt der verhärmte, verbitterte Mensch nach Hause, im Kopf wirre Restvorstellungen von Disziplin und Ordnung, kehrt den autoritären, strengen Kerl nach außen, sehnt sich aber eigentlich nur nach Ruhe und Wärme. Es dauert lange und kostet einige Opfer und Mühen, bis sich die Familie wieder findet, aber sie wird es tun. Parallel dazu wird Deutschland eben Weltmeister in Bern, und ein junger Reporter mitsamt frisch angetrauter Braut schreibt in der Schweiz die Story seines Lebens. Vor unseren Augen entsteht also das Bild eines Landes, das fast zehn Jahre lang in Armut und Agonie verbracht hat, und das jetzt langsam anfängt, wieder auf die Beine zu kommen, die tiefen Wunden zu bearbeiten, zu heilen und nach vorn zu blicken – oder so. Man muß nicht mal besonders häßliche Gedanken hegen, um klar zu erkennen, daß Politiker einen solchen Film mögen, seine Botschaft sehr schätzen. Gerade in schweren Zeit muß man zusammenhalten, muß man auch mal Opfer bringen, nachgeben, Kompromisse schließen, aufeinander zugehen, kurz, die Gürtel enger schnallen. Das haben wir doch schon mal gehört in jüngster Zeit?
Wortmanns Film wirkt tatsächlich manchmal wie ein Propagandafilm aus guter alter Zeit, und er leistet diesem unglücklichen Eindruck Vorschub, indem er voll auf die Pathosschiene setzt und ein Melodrama inszeniert, das die Zuschauer einzig emotional bewegen, große Augenblicke mit großen, tiefen, feierlichen Gefühlen kreieren soll. Dabei gelingt ihm die Heimkehrerstory sogar noch ganz gut mit sehr eindringlichen Momenten, ausgezeichneten Darstellungen und einem feinen Gefühl für die richtige Dosierung. Banal und oberflächlich dagegen das muntere, bunt gewandete und geschminkte Reporterpärchen (Symbol eines neuen, agilen, virilen Deutschland), das wohl für den comic relief sorgen soll aber eher lästig ist, und für meinen Geschmack fast völlig mißlungen sind alle Szenen, die sich um die deutsche Nationalmannschaft drehen. Die meisten der Spieler wirken wie gesichtslose Witzfiguren mit lachhaft überzeichneten Dialekten, auch die Herren Rahn und Walter (die als einzige herausgehoben werden aus dem braven Kollektiv) haben als Menschen überhaupt keine Tiefe, und Sepp Herberger schließlich wird, wie fast zu befürchten war, zur markigen Vaterfigur stilisiert, dem zu jeder Journalistenfrage noch ein kernige Bonmot einfällt, und der seine Jungs mit harter aber gerechter Hand führt, jawoll. Der Mythos wird zu keiner Zeit hinterfragt, relativiert, weil Wortmann das auch gar nicht beabsichtigt, er will den Mythos eins zu eins übernehmen, reproduzieren, und dies ist für einen Film nach fünfzig Jahren recht merkwürdig und viel zu eindimensional, wie ich finde. Und der Ehrgeiz, die einzelnen Spielszenen nachzustellen statt wie häufig einfach die Originalbilder einzufügen, hat im übrigen auch zu wenig geführt, denn ich fand sie eigentlich ziemlich unübersichtlich und uninteressant. Aber wie gesagt, Fußball liegt mir auch nicht so sehr am Herzen wie manch anderem, und auch die Legende von den elf Freunden, die nach aufopferungsvollem Kampf im Regen von Bern die haushoch favorisierten Ungarn besiegten und damit den Landsleuten zuhause den großen Kick mitgaben, geht mir ein wenig am Allerwertesten vorbei. So wie der ganze Film, der launig, routiniert und sehr flott inszeniert ist, in vielen Teilen kompetent unterhält, aber eben diese einzelnen Teile auch nicht immer gleichmäßig überzeugend verknüpfen kann und letztlich alles Hintergründige im üppigen Gefühlsrausch untergehen läßt. Nicht mein Ding. (22.10.)