Rabbit-proof fence (Long walk home) von Philip Noyce. Australien, 2002. Everlyn Sampi, Laura Monaghan, Tianna Sansbury, David Gulpilil, Kenneth Branagh, Jason Clarke
Seitdem der australische Film mehr oder weniger geschlossen nach Hollywood abgewandert ist, hat man von den Aborigines nicht mehr viel gehört. Die Fred Schepisis oder Peter Weirs haben sich anderen Themen zugewandt (wenn überhaupt), und von vielversprechendem Nachwuchs ist weit und breit nichts zu sehen, wenn man einige hervorragende Einzelwerke ausnimmt, die aber bislang auch nicht zu einer größeren Kontinuität geführt haben. Mit anderen Worten – Australien mitsamt seiner Kultur ist im aktuellen Kino kaum noch präsent, und wieviel uns da verloren geht merken wir doch erst, wenn mal wieder ein Film wie dieser zu sehen ist.
1931 in West-Australien: Die weißen Eroberer haben den Aborigines einen Vormund eingerichtet, dessen erstes Interesse darin liegt, möglichst viele Mischlingskinder rüberzuziehen in den Schoß der höheren, edleren weißen Kultur. Zu diesem Zweck werden alle Kinder erfaßt und nach einer gewissen Zeit ihren Eltern weggenommen, um in einem Heim die entsprechende Erziehung zu erhalten. Anders ausgedrückt: Sie werden ihren Wurzeln entrissen, von ihren Eltern getrennt, von ihren Geschwistern, ihrer gesamten Kultur, ihrer Sprache, werden auf Werte eingeschworen, die nicht ihre sind, auf einen Glauben, der nicht ihrer ist, sie werden gefangen gehalten, bei Fluchtversuchen von einem ihrer eigenen Leute aufgespürt und danach drakonisch bestraft. So soll es auch Molly, Gracie und Daisy ergehen, Schwestern bzw. Cousinen, die ihren Müttern entrissen wurden und nun durch die gleiche Mühle gehen sollen wie alle anderen. Molly, die Älteste, ist jedoch fest entschlossen, zurück nach Hause zu kommen, und nach einem gelungenen Ausbruch und unglaublichen Strapazen gelingt zwei der drei Kindern das Unmögliche. Doch die Geschichte wird einen bitteren Nachgeschmack haben, und: Es ist eine wahre Geschichte.
Eine Geschichte natürlich auch, die wohl kaum jemanden kalt lassen dürfte, die einige Zuschauer tatsächlich zu Tränen gerührt hat, und zwar nicht, weil Philip Noyce nun besonders auf die Kitschdrüsen gedrückt hätte, sondern weil eben das Schicksal dieser Leute so erschütternd ist. Natürlich hat Noyce einen hochgradig emotionalen Film gemacht, das heißt, er hat das emotionale Potential voll ausgeschöpft, doch er hat keinen Selbstzweck daraus gezogen, sondern einen Film gemacht, der sich ganz klar und dezidiert für die Rechte und die Sache der Aborigines einsetzt. Zugegeben in sicherlich recht kommerzieller Form, doch ist dagegen in diesem Fall nichts zu sagen, denn es sind hier keine falschen Töne zu hören, kein verlogenes Menscheln, keine kalkulierten Phrasen, kein durchschaubares Buhlen um die Gunst eines wohlerzogenen, gern betroffenen Publikums. Die mitreißende Intensität bezieht der Film vor allem aus der großartigen Präsenz seiner Hauptdarsteller (selbst jemand wie Branagh tritt hinter die fantastischen farbigen Schauspieler zurück), aus den ebenso grandiosen Bildern von Landschaften und Menschen und aus dem schrecklich wirkungsvollen Kontrast zwischen diesen Bildern und dem nüchternen und gleichsam ernüchternden Kommentar der alten Frau im Off, die sich erinnert, die ihre Geschichte erzählt, und die eben auch erzählt, daß später ihr selbst die Kinder weggenommen und in alle Welt zerstreut wurden, genau so, wie es vorher auch schon geschehen war. Sie erzählt dies mit der selbstverständlichen, nur noch leise bitteren Nüchternheit der Angehörigen eines Volksstamms, der von den weißen Eindringlingen verachtet, erniedrigt, verdrängt, vernichtet, entrechtet und zu Tieren degradiert wurde, und zwar nicht im fernen Mittelalter, sondern noch im vorigen Jahrhundert, und wie genau es momentan in Australien um die Lage der Aborigines bestellt ist, bleibt eine ganz andere Frage. Der Film jedenfalls artikuliert eine leidenschaftliche, eindringliche Anklage gegen das Regime der Kolonialisten und er setzt einem Volk ein Denkmal, das man eigentlich längst vergessen hätte, wenn nicht hier und da bei einem Ritterfest oder dergleichen irgendein Späthippie ein Didgeridoo auspacken würde. Der Herr Noyce jedenfalls überrascht einen doch sehr – gerade noch die sehr gute Graham-Greene-Verfilmung und nun dieser großartige Film aus seiner Heimat – wer hätte das nach all seinen konturlosen und politisch doch recht fragwürdigen Actionthrillern à la Hollywood gedacht? Ich für meinen Teil nicht, und um so lieber habe ich mich mal wieder eines besseren belehren lassen. (5.6.)