Die Nacht singt ihre Lieder von Romuald Karmakar. BRD, 2003. Anne Ratte-Polle, Frank Giering, Manfred Zapatka, Marthe Keller, Sebastian Schipper

Na gut, von verschenkten Chancen muß man hier wahrlich nicht reden. Hier gibt’s keine Chancen und auch nix zu verschenken, hier herrscht einfach nur noch blanke Ratlosigkeit. Was in drei Teufels Namen mag Herrn Karmakar zu diesem Werk bewogen, was kann er damit bezweckt haben? Eine Meditation über moderne Beziehungen in der Großstadt? Oder über den Kampf ums tägliche Glück? Oder über den Kampf gegen das Versinken in der Routine? Oder über die lähmende Sprachlosigkeit mit den Jahren?

Vielleicht hat er’s auch gar nicht ernst gemeint und wollte eine Parodie auf „Marienhof“ drehen. Von der Optik her wäre das schon mal okay, denn die betont künstlich und theaterhaft ausgeleuchteten Innenräume (ja klar, dies ist die Verfilmung eines Theaterstücks und man merkt’s in jeder Sekunde!) sehen aus wie in den Daily Soaps, die man rund um die Uhr über sich ergehen lassen könnte. Oder eine Parodie auf Ingmar Bergman mit den quälend kreisenden, schleifenartig wiederholten Dialogen, die unentwegt reden, aber am Ende nirgendwohin kommen.

Ich aber glaube nicht an eine Parodie, ich glaube, daß dieser Quark tatsächlich ernst gemeint ist. Ein Paar in einer Berliner Hinterhofwohnung, ein kleines Baby nebenan, der Mann schweigend und schwerfällig auf dem Sofa, ein Schriftsteller ohne Fortune, sie nervös und rotäugig in der Wohnung umhertigernd, frustriert über seine Starre und Tatenlosigkeit, darüber, daß er nie mehr rauswill, daß er gar nichts mehr will. Die Eltern kommen auf einen Blitzbesuch, stürzen förmlich wieder davon, und dann taucht urplötzlich ein Liebhaber auf, mit dem sie ausbrechen will. Aber die schafft es nicht, bleibt hängen an Erinnerungen und Gefühlen, er geht, sie will zu ihrem Mann, der aber hat sich mittlerweile aus dem Fenster gestürzt.

 

Allein dieser Fenstersturz scheint mir die einzig nachvollziehbare und sinnvolle Aktion in dem ganzen Film zu sein, vielleicht mit Ausnahme des Liebhabers, der auch noch ein Stückchen Glaubwürdigkeit für sich gerettet hat. Der Rest ist ein einziges Absurditätenkabinett, eine Aneinanderreihung inhaltsleerer Alltagsfloskeln, zwanghaft wiederholter Phrasen, bruchstückhafter Mitteilungen ohne wirklichen Wert oder Sinn. Man betet immer wieder, daß sich die Gespräche fortbewegen mögen, daß etwas passieren möge, was wenigstens ein wenig mit der Realität zu tun hat, aber alles bleibt gestelzt, gekünstelt, theatralisch im schlimmsten Sinne. Ich habe mich dabei erwischt, daß ich im Lauf der Zeit schon Aggressionen gegen die beiden Eheleute entwickelt habe. Als die Eltern zwischendurch vorbeikommen, verdoppelt sich diese Tortur, und obgleich man wirklich jederzeit kapiert, was uns Karmakar mit seinen Übertreibungen, Verkürzungen, Stilisierungen sagen will, erscheint mir die ganze Prozedur einfach nur extrem nervtötend zu sein. So überdeutlich, plakativ, platt hätte es nicht zu sein brauchen, zumal die Essenz des ganzen ja durchaus ihre Wichtigkeit und ihre Möglichkeiten hat. Der Verlust an Liebe, an Lebensfreude, an gemeinsamen Perspektiven, die Degenerierung der Kommunikation zu bloßen Sprachhülsen, die Leere und Langeweile des täglichen Miteinander, kennen wir alle, erleiden wir alle mal, und hat schon genug Stoff für gute Filme hergegeben. Dieser Film aber ist nicht gut, ganz und gar nicht, er ist auf eine Weise lächerlich, die ich schon lange nicht mehr erlebt habe, und er geht mir ganz einfach furchtbar auf die Nerven. Seit langer Zeit habe ich mich wirklich zwingen müssen, bis zum Schluß im Kino zu bleiben, und das lag keineswegs daran, daß mir der Film unbequeme Wahrheiten verkündete, sondern daran, daß er mich so verdammt genervt hat, und das kann ich gar nicht so richtig fassen, weil Karmakar bislang ja schon einige sehr gute Filme gemacht hat und dies hier ein echt übler Ausreißer ist. Eine Verschwendung von Zeit allgemein und den Fähigkeiten der Schauspieler im besonderen. Aber Geld zurück bei Reklamationen gibt’s ja leider nicht im Kino. (3.3.)