Maria full of grace (Maria voll der Gnade) von Joshua Marston. Kolumbien/USA, 2003. Catalina Sandino Moreno, Yenny Paola Vega, Virginia Ariza, Johanna Andrea Mora, Wilson Guerrero, Guilied Lopez, Orlando Tobón
Maria aus einem kleinen Dorf nahe Bogota hat ihr Dasein als kleine Arbeiterin in einer großen Blumenfabrik satt, und zu allem Unglück wird sie auch noch schwanger von ihrem Freund, einem lahmen Rumhänger, den sie nicht mal liebt und der sie auch nicht liebt. Sie legt sich mit ihrer Familie an, von der sie auch reichlich ausgenutzt wurde und zieht in die Hauptstadt, doch bereits auf dem Weg dorthin gerät sie an einen Typen, der ihr einen lukrativen Job als Maultier anbietet. Maultiere sind Menschen, die in kleine Päckchen verpacktes Rauschgift schlucken und es so an den Behörden vorbei schmuggeln können. Maria sagt in Unkenntnis des Risikos zu, und zusammen mit zwei anderen Mädchen aus der Gegend fliegen sie nach New York. Der einen, Lucy, reißt ein Beutel im Magen und sie stirbt elend, Maria und Blanca kommen bei Lucys Schwester unter, werden aber rausgeworfen, als die die Wahrheit erfährt. Sie liefern die Drogen schließlich ab, kriegen sogar ihr Geld, doch während Blanca zurück nach Hause fliegt, bleibt Maria in New York, wo sie bessere Chancen für sich und ihr Kind sieht.
Ein, wie man so schön sagt, großer kleiner Film, der unsereinem glasklar vor Augen führt, welch beschränkte Wahrnehmung wir eigentlich vom amerikanischen Kontinent haben. Unsere nämlich hört sozusagen am Bauchnabel auf, an der Grenze USA - Mexiko. Alles was darunter liegt, auf jeden Fall alles südlich Mexikos, ist fremdes Terrain, eine ferne Welt, erst recht Länder wie Kolumbien, Bolivien, Ecuador oder Peru (um nur die Hälfte zu nennen), von denen wir in hiesigen Kinos rein gar nichts erfahren. Klar, von Kolumbien als dem Land der Drogenbarone und des Drogenkrieges hat man gehört, auch die Existenz der sogenannten Maultiere ist irgendwie schon zu uns durchgedrungen, doch so hautnah und intensiv, so drastisch auf den Alltag der kleinen Leute heruntergebrochen hat man das noch nie gesehen. Joshua Marstons Film, unglaublicherweise mit US-amerikanischem Geld finanziert (wahrscheinlich standen die Geldgeber selbst auch unter Drogen) ist geradezu phantastisch mutig, weil er radikal auf jegliches Drama verzichtet, weil er mit einfachen Mitteln eine einfache, schmerzlich klare Geschichte erzählt, nichts unternimmt, um sie in irgendeiner Weise kommerziell aufzubereiten, und weil er seine Erzählung wirklich auf unterster Ebene aufhängt, dort, wo sich jenseits der Boulevardpresse in der Regel die eigentlichen Tragödien abspielen. Marias Geschichte ist einerseits ganz die ihre, andererseits sicher exemplarisch für ungezählte andere in dieser Art: Leute, die die Aussichtslosigkeit, die Armut, das immerwährende Elend auf dem Land satt haben und sich dann verlocken lassen von der Aussicht auf relativ schnell und leicht verdientes, und vor allem für ihre Verhältnisse utopisch viel Geld, ohne daran zu denken, in welche Gefahr sie sich oder auch ihre Familien bringen, in Marias Falle noch zu schweigen von dem ungeborenen Kind. Maria ist nicht gerade eine Draufgängerin, andererseits ist sie die einzige, die in der Blumenfabrik aufbegehrt gegen den harten Akkord und das allgemein mehr als unfreundliche Klima, und diese Mischung aus Schüchternheit und immer mal aufflammender Courage wird auch weiterhin ihren Weg bestimmen. Durch den amerikanischen Zoll kommt sie nur, weil sie als Schwangere nicht mehr geröntgt wird, und im Latinoviertel in Queens schlägt sie sich letztlich auch mit dem Fatalismus derjenigen durch, die nicht mehr viel zu verlieren hat. Ihre Dorfwelt zu Hause war nicht gerade glamourös, doch in den großen Städten Bogota und New York kommt noch eine ganz andere Dimension hinzu, die nämlich einer übermächtigen, kommerzialisierten, materiellen Gewalt. Jeder muß sehen, wie er für sich klarkommt, alles andere ist egal, und jedes Mittel ist dabei recht. Wir sehen auch New York so, wie wir es nur ganz selten im Kino sehen, nämlich wirklich von außen, mit dem Blick einer Fremden, einer Immigrantin aus der im Schatten der USA dahinvegetierenden Dritten Welt. Die Südamerikaner haben ihr eigenes Viertel, haben sich eigene Strukturen geschaffen und in gewissem Rahmen auch einen eigenen Zusammenhalt, von dem auch Maria profitiert, als sie praktisch mit nichts ankommt und schon bald eine provisorische Unterkunft und die Aussicht auf einen Job hat. Die Skyline Manhattans ist hier fern, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten strampelt ein jeder noch immer so wie vor dreihundert Jahren, jedenfalls in dem hier dargestellten Milieu.
Die Kamera ist an alldem mit dokumentarischer, nüchterner Echtheit dran, keine Effekte, kein Budenzauber, alles was wir sehen, steht für sich, bedarf keiner Kommentare und auch keiner Ausschmückungen, es ist die Geschichte der ersten und der dritten Welt, eine extrem politische Geschichte, ohne daß sie dies groß heraushängen würde. Ein Film, der völlig ohne große Gesten auskommt und der dennoch so großartig ist, weil er erstens eine ganz großartige Hauptdarstellerin hat, der man buchstäblich an jeder Gesichtsregung hängt, und weil er zweitens in seiner Einfachheit total ergreifend und überzeugend ist. Der Blick auf die Verhältnisse ist gradlinig und unpathetisch, natürlich nicht beschönigend, aber auch nicht dramatisch verfinsternd, sondern so, daß es für Maria am Schluß weitergeht, ohne daß man jetzt auch nur annähernd vom einem Happy End sprechen könnte. Ihr Übergang von der dritten zur ersten Welt hat sich nur geographisch vollzogen, die Verhältnisse in New York selbst sind durchaus noch nicht danach, als sei sie dort angekommen, wo sie ankommen wollte - abgesehen davon, daß sie selbst keine wirklich klare Vorstellung davon hatte, sondern eher nach Devise gehandelt hat, erst mal abhauen und dann weiter sehen. Der Film drängt sich nicht mit irgendeiner Moral auf, sondern läßt Bilder und Menschen für sich selbst sprechen und setzt so deutliche, unmißverständliche Akzente. Sozial engagiertes Kino in seiner reinsten, eindrucksvollsten Form. (25.4.)