In my father’s den (Als das Meer verschwand) von Brian McGann. Neuseeland/England, 2004. Matthew Macfadyen, Emily Barclay, Miranda Otto, Colin Moy
Die sprichwörtliche Familienhölle, oft und gern beschworen, ist Gegenstand dieses Neuseelandfilms (Neuseeland ist ganz plötzlich sehr präsent in diesem Filmherbst), der Janet Frames Einfluß ebenso viel schuldet („Owls do cry“ wird immerhin explizit erwähnt) wie den gängigen Psychodramen, und der aus diesen beiden Einflüssen mit viel Geschick und Gespür eine eigene, sehr intensive und beeindruckende Mischung zusammengerührt hat.
Paul, ein international renommierter Kriegsberichterstatter und Fotograf, kommt nach langer Abwesenheit zurück nach Hause, das heißt in ein kleines Kaff im Nirgendwo. Anlaß ist der Tod seines Vaters, aber natürlich sieht er sich gleich haufenweise mit Gespenstern aus Vergangenheit und Gegenwart konfrontiert, zum Beispiel mit seinem Bruder und dessen Frau, am intensivsten aber mit seiner Exfreundin Jackie und deren Tochter Celia, die zu ihm bald ein enges freundschaftliches Verhältnis aufbaut und damit, weil sie erst sechzehn ist, eine Menge Argwohn und schließlich Haß in der kleingeistigen Dorfgemeinschaft hervorruft. Als sie dann noch plötzlich verschwindet und die Polizei Paul in den Mittelpunkt ihrer Ermittlungen rückt, bewegen sich die Ereignisse auf eine schlimme Eskalation zu.
Man muß dem Film zu Beginn einen gewissen Geduldsvorschuß geben, weil er sehr bedächtig vom Start kommt und durch die durchgehend etwas unnötig verschachtelte Erzählstruktur eher irritiert als fesselt, doch im Lauf der Zeit (und die nimmt er sich bei gut über zwei Stunden Gesamtdauer) entwickelt sich eine zunehmend eindrucksvolle Verdichtung, die Erzählung nimmt Fahrt auf und die Umrisse einer vergangenen Tragödie mit konkreten Auswirkungen auf die Gegenwart werden langsam deutlich. Der Verstrickung vieler einzelner Probleme und Mißverständnisse ist ziemlich komplex, sodaß unser Held Paul oft nur schweigend und fassungslos erlebt, wie das ganze Bild, das er von seinem Vater und überhaupt seiner Familie errichtet hat, schön langsam und gründlich dekonstruiert wird und er seine eigene Wahrnehmung total in Frage stellen muß. Zunächst glaubt er, dass Celia seine leibliche Tochter ist, weil Jackie das Geburtsdatum nachträglich verändert hat, dann plötzlich erfährt er die furchtbare Wahrheit, dass nämlich Jackie einst von seinem Vater geschwängert worden ist, und dann wird nach tagelanger Suche Celias Leiche gefunden, unabsichtlich zu Tode gestürzt von seiner Schwägerin und versteckt und verbuddelt von seinem Bruder. Paul kann auf all das nur reagieren, indem er die geheime Hütte, die er einst mit dem Vater teilte (die Hütte aus dem Originaltitel nämlich) und damit seine Kindheit in Flammen aufgehen lässt.
Ohne dass sich das gemessene Tempo großartig steigern muß, erzeugt der Film in schönen dunklen Bildern einen starken Sog, der sowohl von der suggestiven, weltversponnenen Poesie einer Janet Frame lebt als auch von klassischen Vorbildern der Familientragödie mitsamt drohendem Inzest und anderen schlimmen Geheimnissen, die nun schmerzhaft enthüllt werden. Brian McGann lässt sich wie gesagt Zeit, was auch der Tiefe der Charakterzeichnungen zugute kommt, allein Miranda Otto als Pauls Schwägerin hat leider wenig Entfaltungsraum und bleibt reduziert auf die traumatisierte, fragile und offenbar in einem religiösen Wahn gefangene Ehefrau und Mutter, die die forsche und herausfordernde Celia über das Geländer stößt, weil sie fälschlich annimmt, ihr eigener Mann habe ein Verhältnis mit ihr gehabt. Die Gemeinschaft der Kleinstadt ist traditionell konservativ und allem Neuen und fremden zunächst eher abgeneigt. Einer wie Paul, der aus der großen weiten Welt zurück in die Provinz kommt, wird mit einer Mischung aus distanzierter Bewunderung und zunehmend aggressiver Feindseligkeit behandelt, und seine Beziehung zu Celia ist sofort verdächtig, auf sexuellen Missbrauch hinauszulaufen, weil sich niemand dieser Dörfler vorstellen kann, dass ein Erwachsener Mann und ein minderjähriges Mädchen einfach nur befreundet sein können und jeweils im anderen eine verwandte Seele entdeckt haben. So kommt es mehrmals zu falschen Interpretationen von Bildern oder Gesehenem oder Erinnertem, die objektive Wahrheit ist ständig in Frage gestellt, Angst, Verunsicherung und Traumatisierung wirken sich stark auf die Beziehungen der Menschen aus, und McGann hat dies insgesamt sehr überzeugend und eindringlich zusammengebracht zu einem letztlich doch sehr spannenden und ausdrucksstarken Film mit durchweg guten Darstellern, toller neuseeländischer Landschaft und ein paar tollen Songs von Patti Smith, die zu Bildern auf der großen Leinwand besonders stark wirken. Und wer weiß – vielleicht wird ja auch das Romanwerk von Jean Frame doch noch mal für den Film entdeckt. Mich würde es jedenfalls freuen. (13.12.)