Capote (#) von Bennett Miller. USA, 2005. Philip Seymour Hoffman, Katherine Keener, Clifton Collins jr., Mark Pellegrino, Chris Cooper, Bob Balaban, Bruce Greenwood
Ich merke, daß ich noch immer, auch am sogenannten Morgen danach, mir nicht ganz im Klaren bin, was ich über diesen Film nun denken und ob ich ihn nun wirklich mögen soll oder nicht. An seinen künstlerischen Qualitäten ist sicherlich nicht zu zweifeln: Dies ist eine brillant geschriebene, inszenierte und gespielte psychologische Studie, ruhig, intensiv, dicht erzählt, aber von einer Abgründigkeit oder Zwiespältigkeit, an der ich persönlich ehrlich gesagt noch zu arbeiten habe.
Erzählt wird vom Entstehungsprozeß des berühmtesten und zugleich letzten Buchs von Truman Capote, „Kaltblütig“, in Jahren von 1959, da der Vierfachmord an der Familie Cuttler in Kansas verübt wurde bis zur Hinrichtung der beiden Täter Smith und Hickock Mitte 1965, wobei festgehalten werden muß, daß von der raschen Ergreifung der beiden Täter und der ebenfalls zeitnahen Urteilsverkündung bis zur tatsächlichen Vollstreckung absurde und quälende fünf Jahre vergingen, hauptsächlich hervorgerufen durch immer wiederkehrende Urteilsaufschiebungen. Hier kommt nun zum Teil Capote ins Spiel: Kurz nach Bekanntwerden der Tat hatte sich der berühmte Schriftsteller auf der Suche nach neuen Formen und neuen Herausforderungen entschlossen, über den Mord und die Motive der beiden Täter einen Tatsachenroman zu schreiben und somit eine neue Gattung aus der Taufe zu heben. Gemeinsam mit seiner Jugendfreundin Harper Lee stellt er Recherchen an und nimmt auch sofort nach Verhaftung der beiden Täter Kontakt zu ihnen auf, eigentlich eher zu Smith, denn Hickock ist kaum in der Lage, einen zusammenhängenden Satz zu formulieren. Mit dem charismatischen, nicht unintelligenten Smith verbindet ihn bald eine Freundschaft, die fast schon eine erotische Komponente hat und auf sein Bitten engagiert er mehrmals Anwälte, um einen erneuten Aufschub der Hinrichtung zu erwirken. Dies zieht sich über Jahre hin, nur gerät Capote mit der Zeit selbst in Schwierigkeiten, als er nämlich merkt, daß sich sein Buch nicht mehr entwickelt und daß er nun schlicht gesagt die beiden Täter nicht mehr gebraucht, weil nur die Hinrichtung, an der er ebenfalls als Zeuge teilnimmt, ein stimmiges Ende für den Roman abgeben kann. „In cold blood“ schließlich wird sein größter Erfolg und er schlagartig zum berühmtesten Autor der USA, all seine künstlerischen und kommerziellen Kalkulationen erfüllen sich somit, doch wird er nie mehr ein weitere Buch beenden und, wie er selbst äußert, nie über diese Erfahrung hinwegkommen. Ob sie ihn allerdings nun ursächlich bis hin zu seinem Alkoholtod 1984 verfolgt hat, darf man gern in Frage stellen.
Bennett Miller hat das wie gesagt sehr zurückhaltend, fast sachlich und auf jeden Fall ohne grelle denunziatorische Töne in Szene gesetzt, was man ihm durchaus hoch anrechnen kann. Wenn ich allerdings hinter die seriöse Fassade blicke, finde ich da eine These, die so monströs ist, daß ich ihr rein gefühlsmäßig nicht bis zum Ende folgen mag, wie ich die Charakterisierung Capotes ganz allgemein sowieso ziemlich problematisch finde. Wir sehen ihn als unendlich eitlen, egozentrischen, narzißtischen Dandy, einen Partylöwen der Kulturschickeria New Yorks, einen Selbstdarsteller, ein weinerliches, verzogenes Kind, dessen zur Schau gestellte Empfindsamkeit ständig in Frage gestellt werden muß, weil man nie genau weiß, ob sie nicht auch nur die Pose des Künstlers als sensibles Wesen ist. Die eher sachliche, zurückhaltende Harper Lee fungiert manchmal als Korrektiv, manchmal als kritische Beobachterin und Ratgeberin, auf jeden Fall immer als Spiegel des exzentrischen Freundes, der einerseits seine Auftritte auf Gesellschaften in vollen Zügen genießt, sich andererseits aber immer noch als Außenseiter fühlt, als ein schwuler Provinzler aus Alabama, der sich sein ganzes Leben daran abrackert, sein Image zu kreieren und endlich die Anerkennung zu finden, die ihm seiner Meinung nach gebührt. Dementsprechend duldet er natürlich keinen Gott neben sich, und als „Wen die Nachtigall stört“ großen Erfolg hat, nimmt er dies mit eher ungnädiger Beiläufigkeit zur Kenntnis, wie immer ganz auf sich und sein eigenes Schaffen fixiert. Was nun sein eigentliches Interesse an dem Mordfall in Kansas angeht, bleibt der Film in der Schwebe. Das ist vielleicht vernünftig, aber auch nicht ganz ehrlich, denn hinterrücks wird ja doch eine konkrete Vermutung angestellt, nämlich die, daß es Capote nicht wirklich um die Menschen noch um ihre Motive sondern einzig um seinen literarischen Erfolg und damit die Bestätigung seines Egos ging, und die Darstellung im Drehbuch arbeitet genau auf diese Prämisse hin. Capote setzt sich solange für den Hinrichtungsaufschub der beiden ein, wie er sie zur Vervollständigung seines Buches braucht, und als er fertig ist, läßt er die beiden schlagartig fallen, empfindet er den Fall plötzlich als Last, stöhnt er wehleidig darüber, daß sich die Hinrichtung noch weiter verzögert und er das Buch daher nicht beenden kann. Wenn man mal die edle Verpackung im Film beiseite schiebt, hat man es hier mit Zynismus in krassester Form zu tun, die Capote als ein veritables Monster schildert, das Menschen gewissenlos für seine Zwecke benutzt und sie dann, als er sie nicht mehr gebraucht, einfach wegwirft. Schlimmstenfalls war es wirklich so, ich kann es nicht sagen, weil ich nur den Roman kenne, aber ich habe schon während des Films gemerkt, daß sich in mir etwas dagegen sperrt, dieser These unwidersprochen zu folgen. Denn was sehen wir sonst von Capote? Häufig starrt er sinnend aus irgendwelchen Fenstern, ist ganz abwesend in Gedanken versunken, nur erfahren wir nie, was er wirklich denkt, und wenn, dann kommen wieder irgendwelche gräßlichen Eitelkeiten oder wimmernde Quengeleien dabei heraus. Erst bedrängt er Smith, ihm alles über die Mordnacht zu erzählen, saugt er die Details, die grausame Sinnlosigkeit der für immer unerklärlich scheinenden Tat mit fast obszöner Faszination in sich auf, dann plötzlich wendet er sich völlig von dem vermeintlichen Freund ab, zieht sich in Apathie und Sprachlosigkeit zurück, als Smith ihm wieder und wieder schreibt und um Hilfe bittet, windet und ziert sich, als er ihn kurz vor dessen Tod noch einmal besuchen soll und schaut sich dann die Exekution aus einiger Entfernung an, wiederum mit der Mischung aus Faszination und Abscheu eines Kindes, das einerseits unbedingt hinsehen muß, sich aber gleichzeitig unter Mamas Schürze verkriecht. Vielleicht liegt es an meiner eigenen Wahrnehmung, daß ich das Porträt Capotes letztlich als äußerst negativ und einseitig empfinde, weil andere Kritiken dem Film ja gerade seine Fairneß attestieren, die sie auch in Hoffmans Darstellung erleben. Diese Darstellung ist für mich aber auch ein zweischneidiges Schwert. Handwerklich sicherlich über die Maßen exzellent und bis in kleinste Gesten und sprachliche Nuancen ausgefeilt, doch wo verläuft die Grenze zur Karikatur, oder hat sich Capote selbst zu Lebzeiten schon zur Karikatur gemacht? Da wir stark auf die Person des Künstlers fixiert bleiben, gibt es wenig Hilfe von außen, sowohl die beiden Täter als auch ihre möglichen Motive bleiben rätselhaft, und besonders was den ziemlich berechnenden Smith angeht, scheint Capotes Buchtitel durchaus zutreffend zu sein. Man muß sich also mit dieser Person unausgesetzt beschäftigen, so schillernd und abstoßend sie auch sein mag, und in diesem Rahmen ist der Film natürlich hervorragend gelungen als ein konsequentes und mutiges Porträt des Künstlers als Monstrum. Wie man selbst dazu steht, ist eine andere Frage, aber es zeichnet „Capote“ auf jeden Fall aus, daß er Kontroversen und Nachdenklichkeiten anstößt, womit er sich auf alle Fälle von neunzig Prozent seiner Kollegen deutlich abhebt. (10.3.)