The Departed (Departed – Unter Feinden) von Martin Scorsese. USA, 2006. Jack Nicholson, Leonardo di Caprio, Matt Damon, Vera Farmiga, Mark Wahlberg, Martin Sheen, Alec Baldwin, Ray Winstone

   Was hat sich getan in Scorseses Machowelt der Gangster, Boxer, Poolcracks oder Hollywoodtykoons? Meistens gibt’s Mord und Totschlag in New York, manchmal auch Mord und Totschlag in Las Vegas und diesmal gibt’s eben Mord und Totschlag in South Boston, auch egal, der Schauplatz ist fast beliebig. Die Irish Community steht diesmal im Fokus einer im Grunde ziemlich genial spannend konstruierten Story: Sowohl die Polizei (Wahlberg/Sheen/Baldwin) als auch der Gangsterboss Costello (Nicholson) schleusen eine Ratte in die jeweils andere Organisation ein und es entspinnt sich ein haarsträubendes und zum Teil wirklich sehr spannendes Katz- und Mausspiel, in dem die beiden jungen Männer (Damon und di Caprio) verzweifelt versuchen, die feindliche Ratte zu enttarnen und zugleich selbst unentdeckt zu bleiben. Wie die Jungs da halsbrecherisch mit Handies lavieren (was wäre das moderne Kino nur ohne diese unselige Erfindung?), wie sie versuchen, Informationen rauszuschleusen, bei jeder wichtigen Besprechung dabei zu sein, möglichst nahe an den Kern der Organisation heranzukommen und immer gleichzeitig unverdächtig und integer zu wirken, das hat schon was und das hat Scorsese in sehr schön montierten Szenenfolgen effektvoll umgesetzt. Er geht wie von ihm gewohnt von Anfang an ein hohes Tempo, umreißt im Schweinsgalopp ein paar irisch-amerikanische Biographien und wirft uns ruckzuck in die Ausgangskonstellation, dass wir schon ziemlich auf der Hut sein müssen, um nicht den Zug zu verpassen. Wenn diese eilige Exposition gelaufen ist, entspinnt sich jenes dramatische und natürlich tödliche Spiel, das als Thriller bestens funktioniert, aber (und wann gäbe es bei Scorsese kein „aber“..) leider nur als Thriller, denn ansonsten tut sich in dem Film nicht besonders viel. Die extrem prominent besetzten Figuren haben kaum Fleisch auf den Knochen, manche wirken wie Stereotypen aus klassischen Genremustern, der spezifische sozio-kulturelle Hintergrund der Story wird – anders als in Scorseses Italofilmen – kaum ausgeleuchtet und das Finale wirkt auf mich besonders enttäuschend und ideenlos, denn Scorsese lässt sämtliche Protagonisten einfach totschießen in einem grimmigen, zynischen Blutbad, das vielleicht folgerichtig sein mag, das aber auch sehr befremdlich ist. In stupid durchexerzierter Zwangsläufigkeit werden pfundweise Hirne weggeballert, einer nach dem anderen verschwindet, und als Zuschauer sitzt man schlussendlich ein wenig verloren und leer am Platz, weil nichts bleibt außer viel Machofatalismus und der ist nicht mein Ding. Hier offenbart Scorsese eine Art von Distanz und Gleichgültigkeit, die wiederum sehr untypisch für ihn ist und diesem Film keineswegs zum Vorteil gereicht, denn das führt nicht zu einem vielleicht gewünscht klaren Blick auf die Verhältnisse (den hat man trotzdem nicht), sondern nur zu einem maschinellen Abwickeln einer Story, die viel Potential hat und die man auch anders und mit einem persönlichen Kommentar hätte ausklingen lassen können.

   Entsprechend die künstlerische Gestaltung: Michael Ballhaus’ Kameraarbeit ist weniger maniriert als sonst bei Scorsese, das ist okay, andererseits aber auch recht bieder und wenig einprägsam. Der Soundtrack, der wie gewohnt fast den ganzen Film unterlegt, besteht aus einer merkwürdigen Mischung aus Rocksongs, deren Beziehung zu den jeweiligen Szenen mir nicht immer klar war. Immerhin aber hört man Van Morrison oder die Stones, und da kann ich mir Schlimmeres vorstellen.

   Entsprechend auch der Umgang mit den einzelnen Figuren: Di Caprio spielt exzellent und hat die vielleicht interessanteste Rolle und er und Damon, der wie fast immer ein bisschen zu glatt ist, diese Glätte aber wirkungsvoll gegen den Strich bürstet, sind sehr schön besetzt als zwei Seiten einer Medaille, denn ihrer Herkunft nach verbindet sie sehr viel, nur ihre nachfolgenden Entscheidungen trennen sie unvereinbar und endgültig. Nicholson dagegen hat nichts in der Hand als die Hülle eines finsteren, manischen Hurenbocks, eine Art Werwolf von South Boston, der ab und zu mal einen markanten Merksatz in die Runde wirft, wenn er mal nicht in Blut badet, und Scorsese gibt seinen Gesichtsmuskeln carte blanche (es rollen die Augen, es hüpfen die Augenbrauen, es verzerrt sich das klassische Nicholsongrinsen mitsamt gebleckter Zähne), sodaß eher eine Karikatur dabei herausspringt denn ein wirklich tiefgehendes Charakterporträt. Nicholson spielt ja gern so wenn man ihn läßt, und diesmal kann man zur Hälfte das flache Drehbuch mit verantwortlich dafür machen, dass er sich als Schauspieler von hohem Rang unter seinen Möglichkeiten einordnet. Wahlberg wiederum, der einzige, der das Gemetzel überlebt und das letzte Hirn (Damons nämlich) rauspusten darf, ist uns total fern und steht nur rum als fieser Arsch mit Poppertolle, der alle provoziert und sonst nichts aufzuweisen hat, und eine vernünftige Frauenrolle gibt’s in diesem Testosteronuniversum erst recht nicht, die sind entweder gesichtslose Huren für Meister Nicholson oder die eine Psychologin (Farmiga), die mit den beiden Konkurrenten gleichzeitig was anfängt und damit ihrer besonderen Beziehung noch eine zusätzliche Spannung mitgibt, die aber als Frau so gut wie kein eigenes Profil entwickelt sondern nur Mittel zum Zweck und entsprechend unauffällig besetzt ist.

 

   Ein Film für Jungs also, ein zweieinhalbstündiges Gewaltopus ohne wirklich tiefere Bedeutung, die Adaption eines Hongkongfilms, wie man im Nachspann lesen kann, doch hat es Scorsese nicht recht verstanden, die Mechanismen der Asienaction auf amerikanische Verhältnisse zu übertragen und der ganzen Sache ein wenig Substanz zu geben. Stoff genug dafür hätte es gegeben, und wann sieht man schon mal so viele Darsteller aus der ersten Reihe versammelt. Also freut man sich am besten über einen gut gemachten und rasant vorgetragenen Mittelteil, geht eine Viertelstunde vor Schluß aus dem Kino und vergißt mal wieder alles, was man je über die Bedeutung des Regisseurs Scorsese gelesen hat. Déjà vu? Klar doch. (13.12.)