1:1 von Anette K. Olesen. Dänemark/England, 2006. Mohammed Al-Bakier, Joy K. Petersen, Anette Støvelbæk, Subhi Hassan, Helle Hertz, Paw Henriksen, Trine Appel, Jonas Busekist, Hassim Al-Dogom

   Gleich zu Anfang ein schöner Übergang: Die Skizze eines Stadtplaners verwandelt sich in ein Bild von der Siedlung, die schlussendlich aus seinem Konzept entstanden ist – Anspruch und Wirklichkeit. Man wolle mit der modernen Bebauung eine humane, menschenfreundliche Umgebung schaffen, hieß es. Und obwohl es in vergleichbaren Großstädten natürlich viel üblere Ghettos gibt, ist in diesem Kopenhagener Außenbezirk doch geschehen, was überall sonst auch geschieht: Sozial Schwächere, vor allem Immigranten leben dort, weil ihnen bei den Preisen für Wohnraum gar nichts anderes bleibt, und es entwickelt sich ein sogenannter „sozialer Brennpunkt“ mit ethnischen Spannungen, Gewalt und Kriminalität. So war das von unserem wohlmeinenden Architekten wohl nicht geplant gewesen...

   Søs ist Sozialarbeiterin und lebt mit ihrer Tochter Mie und dem Sohn Per auch noch dort, sehr zum Verdruß ihrer Mutter, obwohl sie es eigentlich nicht müsste. Vielleicht hält sie ihr Beruf dort, ihr Idealismus, ihr Bedürfnis, vor Ort zu bleiben und zu wirken. Mies Freund Shadi ist Palästinenser, und ohne das der Film an dieser Stelle besonders explizit wird, weiß man sofort, dass beide deswegen Ärger haben. Per verkehrt in einer weißen Gang und die liebt keine Schwarzen. Shadi darf seinen Eltern nichts sagen, denn die würden solch eine Beziehung nicht dulden, und in seinem Boxclub, wo der große Bruder Tariq das Idol ist, wissen auch die wenigsten Bescheid. Als Per eines nachts schwer zusammengeschlagen aufgefunden wird, droht eine Eskalation. Die Täter werden fast automatisch im Immigrantenmilieu gesucht, Mie und Shadi geraten in eine Krise, der Wachmann Ole, der Per gefunden hat, gibt eine Personenbeschreibung, die auf Tariq und einen Kumpel passen könnte. Shadi kann Tariq überzeugen, sich der Polizei zu stellen, aber die weiß mittlerweile auch schon, dass jemand anderes den Überfall verübt hat. Shadi will sich mit Mie versöhnen, doch auf dem Weg zu ihr wird er von Pers Gang angegriffen und verprügelt. Damit steht es 1:1.

   Zunächst mal ist das natürlich ein großartiger Film, so wie ich es am liebsten habe: Realitätsnah, ganz dicht am Milieu und den Menschen dort, gefühlvoll ohne aufdringlich zu sein, klar aber dezent im menschlich-politischen Appell, weil man mittlerweile wohl weiß, dass Appelle allein die Welt auch nicht verbessern können. Aber dennoch auf jeden Fall ein Film, der die Dinge nicht als gegeben hinnimmt, sondern der deutlich sagt, dass die Strukturen und Verhältnisse, die er beschreibt, wesentlich für die Probleme verantwortlich sind und deshalb verändert werden müssten. Anette K. Olesen benutzt nicht den puristischen Dogmastil, doch ist ihr Film trotz Einsatz von Musik und einiger dramaturgischer Mittel im Grunde nicht sehr weit davon entfernt, er ist einfach, ohne Schnörkel und unnötigen Ballast, konzentriert auf eine Handvoll Hauptfiguren und inhaltlich gesehen auf das Wesentliche. Das bedeutet, dass Olesen eine ganze Menge Hintergrundwissen als bekannt voraussetzen darf und das auch tut, ganz einfach weil das heutzutage zur allgemein verbindenden Alltagskultur gehört. Spannungen zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen gibt es überall, vor allem dort, wo diese eng und massiv miteinander leben und wo sie unter Lebensumständen leben, die Frust und Aggressionen erzeugen. Dazu reicht ein Blick über die Wohnsiedlung, und dazu reicht die bloße Info, dass Mie einen farbigen Freund hat. Erschütternd und zugleich faszinierend ist, dass sich aus diesen beiden Fakten jeder, der im Hier und Jetzt lebt und sich nicht völlig von der Umwelt abschottet, die zentralen Konflikte herleiten kann, ohne dass der Film in dieser Richtung irgend etwas beisteuern muß. Es gibt keine Kämpfe zwischen den Gangs, nur ganz am Schluß eine kurze Gewaltszene, als Shadi überfallen wird, es gibt keine soziopolitischen Vorträge, kein Melodrama oder Pathos. Olesen elliptische Erzählweise reduziert die Geschichte auf wenige Schauplätze (die Wohnungen der beiden Familien, den Boxclub, ein paar Straßenzüge drumherum) und wenige Figuren, wobei ich mir gewünscht hätte, daß Søs etwas mehr zum Zug gekommen wäre. Gerade sie als Sozialarbeiterin (oder Streetworker, wie man wohl eher sagt) ist in diesem Milieu natürlich eine interessante Person, doch die Frage, wie sie ihre persönliche Situation mit ihrem Beruf und ihrem Ethos in Zusammenhang bringt, hat leider keinen Raum hier. Anders als ihre Mutter lässt sie sich keineswegs zu ausländerfeindlicher Denkweise hinreißen und versucht auch nie, Mie Beziehung zu Shadi zu unterbinden, während Mie selbst, die bis dahin auch vor Pers Freunden immer zu Shadi gehalten und sich von den Schlägertypen distanziert hatte, nun ihrerseits ins Schwanken gerät, als sie von dem Gerücht erfährt, dass Tariq möglicherweise ihren Bruder überfallen haben könnte. Interessant ist auch jemand wie Ole, ein ziemlich netter aber auch etwas schlichter Typ, der eigentlich nur helfen möchte, dem aber offenbar die Macht von Gerüchten gerade in diesem Milieu nicht ganz klar ist und der ganz ungewollt beinahe noch Unheil stiftet, als er bloßes Hörensagen ungefiltert weitergibt an die Polizei und es auch sonst am falschen Ort zu laut herausposaunt.

 

   Olesen macht schon klar, dass es zu dem privaten Drama, also dem zwischen Mie und Shadi, eine gesellschaftliche Entsprechung gibt und dass die beiden hundertprozentig das Produkt ihrer Umgebung sind, und wie sie das macht, ist sehr überzeugend. Ihr Film erzählt weißgott keine neue Geschichte, doch das muß er auch nicht, denn es ist immer wieder eine starke Geschichte und auch eine wichtige, denn sie kommt aus dem täglichen Leben und wird niemanden unberührt lassen. Die Bilder sind intensiv, ungekünstelt und dadurch sehr ausdrucksstark und die Schauspieler sind auf bewährte skandinavische Weise einfach grandios, maximal authentisch, maximal gefühlvoll und uneitel. Nach „Kleine Missgeschicke“ und „In deinen Händen“ ist dies ihr dritter herausragender Film und damit ist ihr eine sehr eindrucksvolle Serie gelungen. Hoffentlich geht sie noch weiter! (10.5.)