Atonement (Abbitte) von Joe Wright. England, 2007. Keira Knightley, James McAvoy, Romola Garai, Saoirse Ronan, Vanessa Redgrave, Brenda Blethyn, Juno Temple, Patrick Kennedy, Benedict Cumberbatch, Gina McKee
Kurz vorneweg zur Zusammensetzung des Publikums: Neunzig Prozent weiblich, vorzugsweise in innig plaudernden Zweiergruppen, dann drei Ehepaare, die Herren nach dem Motto, na ja, muß ich wieder mal mit ins Kino, und dann ich als Einzelgänger mit einer Reihe ganz für mich, denn solche allein sitzenden Typen sind immer komisch.
Nun noch was zu Ian McEwan: Das war mal ein ganz toller Schriftsteller, dessen erste Kurzgeschichten aus den Siebzigern ein paar Jahre später bei uns veröffentlicht wurden, fast zeitgleich mit dem großartigen ersten Roman „Der Zementgarten“, und irgendwie finde ich, dass der Mann an dieses Niveau danach nicht mehr anknüpfen konnte, obgleich „Der Trost von Fremden“ auch noch ganz lesenswert ist. Die Sujets der Romane haben mich leider nicht mehr sonderlich interessiert, erschienen mir immer willkürlicher, und McEwans Name tauchte im weiteren nur noch im Kino auf als Autor der Buchvorlage. Keiner seiner Romane ist wirklich gut verfilmt worden, weder von John Schlesinger (ging noch), noch von Paul Schrader (ging nicht mehr so), noch von Andrew Birkin (ging absolut gar nicht!). Und Joe Wright hat es ehrlich gesagt auch nicht viel besser gemacht.
Briony, ein dreizehnjähriges Mädchen auf einem noblen Landsitz anno 1935: Angetrieben von aufkeimender Pubertät, schriftstellerischer Phantasie und der Liebe zu Robby, dem Sohn der Haushälterin, beobachtet sie eben den in einer prekären Situation mit ihrer älteren Schwester Cecilia, missdeutet diese Situation jedoch, und als Robby ihr kurz darauf einen Brief an Cecilia übergibt, sorgt sie dafür, dass dieser Brief bekannt wird, was besonders deswegen fatal ist, als Robby den falschen Brief eingetütet hatte und zwar den anatomischen mit dem gräßlichen four-letter-word, und nicht den romantischen. Dann erwischt Briony die beiden Liebenden in flagranti in der Bibliothek, und nutzt dann kurz darauf eine Notlage, in die ihre Kusine gerät, um Robby als Vergewaltiger anzuzeigen, obgleich der völlig unschuldig ist. Robby kommt ins Gefängnis, kann sich nur durch den Kriegsdienst freikaufen und landet in Nordfrankreich. Er und Cecilia werden sich nicht mehr wiedersehen. Er stirbt in Dünkirchen kurz vor der Einschiffung der britischen Armee an einer Blutvergiftung, sie in London in einem U-Bahntunnel bei einem Bombenangriff. Briony, die während des Krieges als Krankenschwester in London gearbeitet und so noch den Kontakt zu Cecilia gehalten hatte, wird eine bekannte Autorin und leistet in ihren erklärtermaßen letzten Roman Abbitte, indem sie ihre Schuld offen bekennt und den Liebenden wenigstens eine fiktive gemeinsame Zukunft beschert.
Dieses letzte Motiv ist das schönste und bewegendste in einem ansonsten enttäuschend konventionellen und fast vollständig vorhersehbaren Melodram, das auch in der Wahl seiner Mittel ganz im klassischen Rahmen bleibt: Opulente Breitwandoptik, aufdringlich schwelgende Musik, eine dekorative, wenn auch hart am Rande der Unterernährung befindliche Hauptdarstellerin, und ein Personal, das aus jedem beliebigen britischen Gesellschaftsstück stammen könnte: Auf der einen Seite der blasierte, standesbewusste Landadel mit all den bekannten Ausformungen der Dekadenz, auf der anderen Seite der Sohn der Hausdame, der natürlich fürs fesche Töchterlein absolut keine passende Partie wäre, weswegen sich letztlich auch niemand ernsthaft darum bemüht, die Wahrheit über Schuld oder Unschuld herauszufinden. In diesem grundsätzlich recht klischeehaften Korsett haben die Schauspieler kaum Entfaltungsmöglichkeiten, und so bleiben mir allein die junge Saoirse Ronan als dreizehnjährige und die großartige Vanessa Redgrave als alte Briony im Gedächtnis. Gerade ihr von Trauer und Schuld gezeichnetes Gesicht in der langen abschließenden Großaufnahme ist ein nachwirkender Moment und allemal eindrucksvoller als all die auf groß getrimmten Tableaus aus Krieg und Frieden zuvor. Ich war besonders überrascht von der Tatsache, dass ein so verdienter Autor wie Christopher Hampton es nicht fertig gebracht hat, der Mechanik des Genres etwas Leben und Originalität einzuflößen, aber nein, bis zum Schluß begibt sich alles so, wie jeder halbwegs erfahrene Kinogänger dies längst hat kommen sehen, und auch die Aufteilung der Handlungsfäden, als sich die Wege der drei Protagonisten trennen, konnte nicht zur Schaffung von Spannung oder wirklicher Dramatik genutzt werden. Der Film spult ab wie eine Maschine, gekonnt gestylt, routiniert dirigiert, aber wenn ich an die rauen und jederzeit aufregenden und überraschenden frühen Prosawerke McEwans denke, dann finde ich hier nichts mehr davon wieder. Wenn der Roman so ist wie der Film, dann will ich ihn nicht lesen, vielleicht versuche ich es aber doch mal und finde heraus, dass es sich hier wieder einmal um eine ungenügende Literaturverfilmung handelt. Tief in Innern aber glaube ich das nicht so recht. (28.11.)