Away from her (An ihrer Seite) von Sarah Polley. Kanada, 2006. Julie Christie, Gordon Pinsent, Olympia Dukakis, Michael Murphy, Kristen Thomson, Wendy Crewson
Fiona und Grant sind seit ihrem siebzehnten Lebensjahr ein Paar, seit fast fünfundvierzig Jahren, und nun hat Fiona Alzheimer und gerät im täglichen Leben mehr und mehr ins Rutschen. Hier ein Wort, das ihr nicht mehr einfällt, dort eine Bratpfanne, die in den Kühlschrank gestellt wird, dann die vielen kleinen Zettelchen, die als Erinnerungsstütze dienen sollen und auf die Dauer doch nicht reichen. Fiona entschließt sich, nach Meadowlake, ein nahegelegenes, auf den Umgang mit Demenzkranken spezialisiertes Heim zu ziehen, und widerwillig akzeptiert Grant, der dann auch noch schlucken muß, dass er Fiona in den ersten dreißig Tagen ihres Aufenthaltes nicht besuchen darf, um „die Eingewöhnung nicht zu beeinträchtigen“. Bei seinem ersten Besuch hat Fiona vergessen, wer er ist und sich dem Mitbewohner Aubrey zugewandt. Grant ist zunächst aufgebracht, zwingt sich jedoch, ihren Zustand hinzunehmen und besucht die weiterhin täglich in der Hoffnung, dass sie zwischenzeitlich kurz aus ihrer Demenz auftauchen könnte. Zudem nimmt er Kontakt zu Aubreys Ehefrau Marian auf, geht mit ihr aus und fängt eine halbherzige Affäre mit ihr ein. Viel mehr bedeutet es ihm, dass Fiona eines Tages tatsächlich mal einen lichten Moment hat, obwohl er weiß, wie trügerisch er wirkt.
Sarah Polleys Regiedebut ist eine beeindruckend intensive und äußerst konzentrierte Studie darüber, wie die Demenz in menschliche Beziehungen eingreift und sie endgültig verändert. Ich habe beruflich ungleich dramatischere und krassere Beispiele für den Verlauf der Alzheimerkrankheit erlebt, die gleichsam Stoff für ein deftiges Kinodrama hergegeben hätten, finde es daher um so bemerkenswerter, dass Polley auf jegliche Spekulation vollkommen verzichtet, sondern ganz konsequent einen schleichenden und dennoch unaufhaltsamen Prozeß zeigt, in dem, wie der englische Originaltitel treffender umschreibt, ein Paar sich langsam voneinander entfernt. Die Grausamkeit besteht vor allem darin, dass man gar nichts tun kann, dass man praktisch hilflos in einen Abgrund hineingezogen wird, und dass die Erkrankte selbst dies zunächst noch ganz genau mitbekommt und sich darüber informieren kann, was möglicherweise auf sie zukommt, ohne dass sie wie gesagt irgendetwas daran ändern könnte. Gerade das, das anfänglich noch ganz bewusste Treiben in die Demenz, stelle ich mir unendlich grausam vor, und Polley hat das Kunststück fertig gebracht, dies in stille, poetische Bilder einzufangen, ohne etwas von der tragischen Dimension einzubüßen. Im Gegenteil, gerade der Verzicht auf schrille Effekte und die Beschränkung auf wenige Personen, wenige Orte und wenige Situationen machen das menschliche Drama noch ergreifender und zwingender. Auch die Darstellung des Lebens im Heim ist auffällig zurückhaltend und unspektakulär mit einem detaillierten Blick für die besondere Situation sowohl der Patienten als auch ihrer Angehörigen, die beharrlich zwischen Hoffnung, Ernüchterung und Erschütterung leben und dennoch eine gemeinsame Erfahrung teilen, nämlich die, dass sich die Menschen, die sie lange kennen und lieben, unwiderruflich und oft unbegreiflich verändern. Sehr stark sind die Momente, in denen Grant versucht, damit klarzukommen, seine eigene Hilflosigkeit, Eifersucht, auch Selbstsucht zu bekämpfen und sich auf Fionas Zustand einzulassen, so wie er ist. Als klassischer Ehemann war die Frau für ihn die wichtigste und vielleicht einzige Stütze, und natürlich erlebt er nun, wie sehr sie ihm fehlt und wie stark auch die emotionale Abhängigkeit war. Auf das was kommt ist er kaum vorbereitet, das Personal im Heim kann ihm bei aller professioneller Empathie nicht richtig helfen, hat zum Teil auch das Gefühl dafür verloren, dass hinter jedem Fall, der für sie Routine geworden ist, eine private Tragödie steht, doch wird auch deswegen hier kein Vorwurf erhoben. Grants Erfahrung ist die fast aller Betroffener, was bleibt, sind Erinnerungen, die genauso weh tun wie das gegenwärtig Erlebte, und vielleicht ein halbherziger, wenig aufrichtiger Versuch, irgendetwas Neues zu beginnen, was aber, wie er und auch Marian wohl wissen, nichts werden kann, weil zuviel noch unbearbeitet geblieben ist. Das gilt übrigens über die Gegenwart hinaus auch für seine Ehe mit Fiona, denn es gibt schon einige Andeutungen, dass da nicht immer alles in Ordnung war, auch wenn er wie die meisten Ehemänner die Fehltritte und Konflikte längst und gründlich verdrängt hat und die gemeinsame Zeit als rein und makellos erinnert. Marian scheint in ihrer Aufarbeitung schon weiter zu sein und weist ihn genau darauf hin, kann ihn aber letztlich nicht erreichen, weil er noch zu stark mit sich und seiner Trauer beschäftigt ist.
Neben Polleys einfühlsamer, sehr ruhiger Regie ist dies natürlich in erster Linie ein Schauspielerfilm, und vor allem Julie Christie (sind diese blauen Augen wirklich echt?) und Gordon Pinsent sind großartig, passen sich dem Regiekonzept perfekt an und spielen unaufdringlich, zurückhaltend und enorm intensiv. Es ist besonders schön, eine so tolle Schauspielerin wie Julie Christie nach all den vielen Nebenrollen endlich mal wieder groß und ausführlich auf der Leinwand zu sehen, was mich zugleich immer daran erinnert, wie sinnlos und verschwenderisch die ständige Bevorzugung junger, glatter, nur vermeintlich attraktiver Stereotypen im Kino doch ist, denn wer könnte sich im Ernst eine charismatischere, attraktivere Frau vorstellen als diese, egal ob sie nun fünfundsechzig oder sonst wie alt ist. An diesem Gesicht kann man sich buchstäblich nicht sattsehen, während man die vielen Stars und Sternchen schon nach fünf Minuten wieder vergessen hat, und ich hoffe sehr, dass dies nicht ihre letzte Rolle in einem solch hervorragenden Film wie diesem war. (11.12.)