The good shepherd (Der gute Hirte) von Robert de Niro. USA, 2006. Matt Damon, Angelina Jolie, Tammy Blanchard, William Hurt, Billy Crudup, Michael Gambon, John Turturro, Robert de Niro, Alec Baldwin, Keir Dullea, Martina Gedeck, Timothy Hutton, Joe Pesci

   Eine kurze Geschichte der CIA von ihren Anfängen im Zweiten Weltkrieg bis hin zur Schweinebuchtinvasion 1961 und deren Nacheben zur Kennedyzeit. Veranschaulicht am Beispiel von Edward Wilson, der als gerade Zwanzigjähriger direkt in Yale abgegriffen, in den Skull & Bones-Geheimklub geschleust wird und dort ersten Kontakt zu den entsprechenden Kreisen bekommt: Das FBI setzt ihn auf den schwulen Englischprofessor an, und schließlich wird er eingeladen, eine Geheimdienstkarriere zu machen mit den Stationen London, Berlin und schließlich wieder Washington. Er lernt vom British Secret Service, macht erste Erfahrungen mit den Russen und dem zähen Verhandeln des aufkommenden Kalten Krieges, begeht Irrtümer und lernt, dass hier und da mal einer sterben muß im Interesse der Sicherheit. Es gibt eine Zweckehe mit einem Sohn, dem er nie nahe kommt und dessen Hochzeit schließlich an der Politik scheitert (die Braut wird auf dem Weg vom Kongo aus dem Flugzeug geworfen). Sein ziviles Leben reduziert sich mehr und mehr, dafür schafft er den Sprung in die neue CIA-Etage und darf weiter seine Existenz als grau gekleideter Aktentaschenträger fristen.

   Die Vorzüge dieses Films liegen deutlich zutage und sind durchaus beachtlich: Eine eindrucksvolle optische Gestaltung durch Robert Richardson, wunderbar breitflächige, stimmungsvolle Bilder, die sich niemals grell aufdrängen, sondern das Geschehen effektvoll transportieren. Dazu eine komplex angelegte, in zahlreiche Rückblenden ausgelöste Dramaturgie, die sich ebenfalls nicht um platte Effekte bemühen muß, sondern im Gegenteil einen getragenen, fast hypnotischen Flow erzeugt, so dass man sich als Zuschauer selbst irgendwann in eine Parallelwelt versetzt fühlt. Auf künstlerischem Gebiet hat de Niro einiges geleistet, wie ich finde, und dies ist umso höher einzustufen, als es ja erst seine zweite Regie ist.

   Leider aber überwiegen für mein Gefühl hier doch die Schwächen, und die sind vor allem auf zwei Gebieten zu suchen: Erstens und schlimmstens in der Figur der Hauptperson Edward Wilson und in seinem Darsteller. Dieser Mann ist von Beginn an ein völliges Neutrum, ein Objekt derer, die ihn für ihre Zwecke benutzen: Das FBI manipuliert ihn, der Englischprofessor manipuliert ihn, die Frau überrumpelt ihn und ruckzuck ist sie schwanger und er hat eine Familie am Hals, obwohl er eigentlich eine andere liebt (obwohl, lieben kann der eigentlich gar nicht), die Drahtzieher in Politik und Geheimdienst manipulieren ihn unaufhörlich, die Russen manipulieren ihn, und er bleibt immer der unauffällige Bürohocker im schlammbraunen Trench mit Hut und Hornbrille, und da gibt es überhaupt keine Regung in ihm, keine Entwicklung, keine Veränderung und rein gar nichts, mit dem wir uns positiv oder negativ identifizieren könnten. Selten habe ich einen so wenig entwickelten Protagonisten in einem Film gesehen, ein Nichts von einem Charakter, eine glatte Oberfläche, eine starre Marionette, und zu allem Überfluß ist dieser Mensch in fast jeder Szene der zweidreiviertel Stunden zu sehen. Matt Damon, der für manche Rollen durchaus sehr gut geeignet sein mag, bietet zudem eine extrem schwache Darstellung, die der Figur keinerlei Profil zu geben vermag. Besonders als Mann um die vierzig und als Vater wirkt er fast schon lächerlich und grotesk mit der sichtbar antrainierten Körpersprache eines Siebzigjährigen und maskenhafter Mimik (so als sei man mit vierzig bereits so gut wie tot!). Er hat einfach immer die Ausstrahlung eines fleißigen Schülersprechers und von Schwiegermamas Liebling, und ich jedenfalls habe mich bis zuletzt nicht an ihn gewöhnen wollen. Hinzu kommt noch Angelina Jolie als puppenhafter, total ausdrucksloser Breitmaulfrosch, die ebenfalls eine schwach und klischeehaft geschriebene Rolle hat und sie leider auch so spielt. Die indiskutablen Leistungen der beiden wirken umso gravierender, als sie mit dem fabelhaften Darstellerteam rundherum deutlich kontrastieren, aber so hat man wenigstens ein paar Figuren hier, denen zuzuschauen es Spaß macht und die doch einige Kompetenz und Autorität ausstrahlen. Die einzig interessante Frau hier – Martina Gedeck nämlich – wird schon nach fünf Minuten totgeschossen. Schade, das hätte eigentlich genau umgekehrt laufen müssen...

 

   Die zweite Schwäche, die bei mehrmaligem Nachdenken noch an Gewicht zunimmt, ist de Niros Fokus auf die Privatebene und die weitgehende Vermeidung einer politischen Aussage. Der Film ist geradezu kriminell zahm, oder er ist schlicht staatstragend, was genauso kriminell wäre. Ein einziges Motiv, das den Film stringent durchzieht, wird sehr überzeugend und spannend entwickelt, ist das Thema Vertrauen: Vertraue niemandem, wird dem jungen Novizen wieder und wieder eingehämmert, und an diese Lehre hält er sich schließlich auch so konsequent, dass er früher oder später genau so einsam und paranoid ist wie all die anderen Männer im Geschäft. Die Geheimdienste haben sich ein eigenes Universum aufgebaut, das längst zum Selbstzweck geworden ist und ohne das sie im realen Leben wohl nicht existieren könnten. Gegenspionage, gezielte Desinformation, Ausschaltung gefährlicher Mitwisser undsoweiter, dies sind die Schlagworte, mit denen sie sich versorgen und durch die sie sich rechtfertigen. Der Kalte Krieg als das Theater von Hysterikern, die gezielt Ängste schüren, wo keine Ängste angebracht wären, die Aufrüstung postulieren, wo keine Aufrüstung nötig wäre. Aber so weit geht de Niro ja nicht mal, er beschränkt sich weitgehend auf ein paar skizzenhaft umrissene und leider unscharf beurteilte historische Details (eben jener Schweinebuchtgeschichte zum Beispiel) und versucht ansonsten, uns für die privaten Nöte von Herrn Wilson und seiner Familie zu interessieren, was aber aus oben genannten Gründen vollkommen fehlschlägt. All die wirklich miesen Machenschaften der CIA werden ausgeblendet, höchstens der dreckige Handel mit den Nazis und den Russen in Berlin 1945 kommt zur Sprache, kann aber auch nur verstanden werden, wenn man den Hintergrund ein bisschen parat hat. Natürlich klingt hier und da mal ein kritischer Ton hinsichtlich der paranoiden Ideologie der Geheimdienste an, im Grunde aber verschenkt de Niro fast jede Möglichkeit zu einem politisch expliziten, streitbaren Film. Wir haben also eine äußerst edle Optik, einen elegant flüssigen Erzählstil und ein potentiell äußerst interessantes und gehaltvolles Thema – und dennoch ist der Film nicht annähernd so aufregend, wie er hätte sein können. Immerhin wird niemand im CIA ernstlich böse auf de Niro und seine Crew sein, und das hat ja auch schon was für sich. (20.2.)