Il Caimano (Der Italiener) von Nanni Moretti. Italien, 2006. Silvio Orlando, Margherita Buy, Jasmine Trinca, Michele Placido, Nanni Moretti, Giuliano Montaldo, Jerzy Stuhr, Antonello Grimaldi
Nanni Morettis Filme sind irgendwie vertrackte und sperrige Gebilde - sehr privat, sehr launisch, manchmal sprunghaft, manchmal witzig und in jedem Fall sehr schwer auszurechnen. Kein Kino für breitere Massen jedenfalls. Und folglich auch nach einer einigen Woche aus unserer kleinen Stadt verschwunden. Gottseidank habe ich im letzten Moment noch geschafft und wurde für meinen Spontaneinsatz mit einem bemerkenswerten Film belohnt.
Wie häufig bei Moretti geht es um mehr als nur ein Thema. Es geht natürlich um Berlusconi, aber es geht darüber hinaus auch um Italien in den Achtzigern und Neunzigern und es geht um die italienische Filmszene. Außerdem haben wir hier eine Ehegeschichte, eine Trennungsgeschichte, eine Familiengeschichte und das Porträt eines Träumers, Spinners und Losers. Bruno ist Regisseur einiger Trashkultfilme, der allerdings seit einigen Jahren in einer beruflichen wie privaten Krise steckt. Seine Ehe mit Paola ist am Ende und seine Produktionsgesellschaft so gut wie. Als die junge Regisseurin und Drehbuchautorin Teresa auftaucht und ihm ein anspruchsvolles Sujet anvertraut, erkennt er zunächst nicht, dass es um eine Politsatire über Berlusconi geht, und als er das schließlich kapiert, möchte er am liebsten die Finger davon lassen. Doch irgendwie erwacht sein künstlerischer Ehrgeiz und er will das Projekt unbedingt realisieren, genauso wie er Paola für sich zurück gewinnen will. Am Ende stehen die Dinge immerhin in der Schwebe, womit man eigentlich gar nicht mehr rechnen konnte, denn eigentlich sah Bruno schon wie der sichere Verlierer aus.
Locker und flott wechselt Moretti die Tonarten und die Themen, nie weiß man, was als nächstes kommt, mal wird’s plötzlich ernst und ein wenig traurig, mal wieder komisch und frech. Mal sehen wir ein Familiendrama mit einem Vater, der schrittweise den Boden unter den Füßen verliert und dennoch verzweifelt versucht, den beiden Söhnen gegenüber den Status zu wahren, der aber stets und ständig von der bitteren Realität eingeholt wird. Mal sehen wir ein Ehedrama über zwei Leute, die sich längst auseinander gelebt haben, die sich aber zur Trennung auch nicht so recht entschließen können, weil tief drin offenbar doch noch eine vage Sympathie zu finden ist, auch bei der Frau, die die Scheidung eigentlich forcieren möchte. Mal sehen wir Film im Film, vor allem zuletzt, wenn Moretti selbst als Berlusconi auftritt (absurderweise natürlich, denn er sieht ihm kein bißchen ähnlich) und man einen Eindruck von seinem ganz speziellen Sprachstil erhält. Mal sehen wir eine bissige Kultursatire über einen Filmbetrieb, der von eitlen, geld- und prestigesüchtigen Selbstdarstellern, windigen Pfuschern oder kühl rechnenden Bürokraten bestimmt wird. Und mal sehen wir das garstige Porträt eines Landes, das von Berlusconi in einen Sumpf aus Korruption, rechter Demagogie und gezielter Medienmanipulation hineingezogen wird und sich dagegen nur sehr zaghaft zur Wehr setzen zu wollen scheint. Berlusconi streut durch eigene TV-Sender seine trivialen Botschaften, verpackt in schrilles, dralles Entertainment ungeniert unters Volk, nutzt jeden Auftritt im Parlament oder vor Gericht zur Generalabrechnung mit den Feinden und zu pathetischen und dreisten Monologen. Niemand scheint ihn anfänglich so recht ernst zu nehmen, bis schließlich auch die Linke und die Intellektuellen allgemein kapieren (viel zu spät wie gewöhnlich), dass er längst am Ruder der Macht sitzt und die öffentliche Meinung dirigiert. Sein joviales, volknahes Auftreten ist umso gefährlicher, da sich darunter eiskaltes Machtstreben und rechtsgerichteter Populismus verbergen, nur herrscht in der Kunstszene irgendwie der Konsens, dass dieser Mann kein Thema mehr ist, weil er halt schon zu oft Thema war, und gerade diese Ignoranz erweist sich als fatal, da Berlusconi viel zu lange freie Bahn hat.
Morettis große Kunst liegt darin, diese überaus divergierenden Elemente zu einem wunderbar organischen und darüber hinaus sehr unterhaltsamen Ganzen verschmolzen zu haben. Sein Film ist geistreich, subtil, flüssig, mal charmant, mal zärtlich und mal böse, je nachdem. Typisch römisches Volkstheater mischt sich mit knallharter Politsatire, interne Anspielungen aus der italienischen Kinoszene (Michele Placido und Giuliano Montaldo treten in sehr vielsagenden Rollen auf) wechseln ab mit intimen, privaten Momenten, manchmal ist mir das Volkstheater mitsamt des unentwegt hyperaktiven Silvio Orlando schon ein kleines bisschen zuviel (die beiden großartigen Frauen entschädigen allerdings dafür!), meistens aber besticht der Film durch seine Eleganz, seinen brillanten Stil und seine Eigenwilligkeit, die sich einer simplen Kategorisierung souverän entzieht. Auf diese Weise entsteht vielleicht ein viel geistreicheres, wirkungsvolleres Gesellschaftsporträt als es mit gewöhnlichen Mitteln möglich gewesen wäre, ich jedenfalls habe den Film sehr genossen und halte ihn für den besten, den ich bislang von Moretti gesehen habe. (18.7.)