The lookout (Die Regeln der Gewalt) von Scott Frank. USA, 2007. Joseph Gordon-Levitt, Jeff Daniels, Matthew Goode, Isla Fisher, Carla Gugino, Bruce McGill, Sergio Di Zio, Greg Dunham, Morgan Kelly

   Nicht nur des gleichen Hauptdarstellers wegen muß man bei diesem Film an “Brick” denken, obwohl der in einem völlig anderen Umfeld angesiedelt ist undsoweiter, aber die beiden haben gemeinsam, dass sie Motive, Handlungselemente und auch gewisse Stereotypen des alten Film Noir übernehmen und diese in die moderne Zeit übertragen und dafür Orte finden, die abseits der ausgelatschten Metropolen liegen. „Brick“ benutzte einen öden Schulcampus, „The Lookout“ (der deutsche Titel ist mal wieder sowas von dämlich und hat mit dem Film nix zu tun) benutzt eine verschneite Kleinstadt irgendwo in Kansas oder so. Der einstige Eishockeystar und Mädchenschwarm Chris verliert bei einem bösen Crash einen Teil seines Gedächtnisses und die Fähigkeit, sein Leben ohne Hilfe von Merkzetteln selbst zu meistern. Er lebt mit dem blinden Freak Lewis zusammen, jobbt als Raumpfleger und Nachtwächter in der Bank am Ort und hat sich von seinen wohlhabenden Eltern entfremdet, denn die sehen in ihm einen Loser, der ihre hohen Erwartungen nicht mehr erfüllen kann. Als sich in einer Bar der schmierige Gary und die sexy Luvlee an ihn ranschmeißen, beweist er, dass er die einschlägigen Filme nicht kennt, denn außer ihm kapiert jeder Zuschauer sofort, dass die ihn nur benutzen und was Übles im Schilde führen. Und richtig – sie wollen die Bank knacken, in der Chris jobbt und wollen ihn als Aufpasser engagieren. Luvlee setzt ihre weiblichen Reize forciert ein, Gary argumentiert nach Männerart: Wer das Geld hat, hat die Macht, trichtert er ihm ein und: Du hast was Besseres verdient als dieses belämmerte Leben. Chris lässt sich also auf die Sache ein, auch um sich an seinem hartherzigen, unnachgiebigen Vater zu rächen, doch der Bruch geht wie zu erwarten schief, es gibt Tote, Chris und Lewis stehen plötzlich auf der Abschussliste, doch wie durch ein Wunder kommen sie raus aus der Klemme und können am Ende das Restaurant eröffnen, von dem sie schon lange gemeinsam geträumt haben.

 

   Scott Frank baut die Story sehr ruhig und sorgsam auf, und es ist gar kein Problem, dass man den verlauf schon sehr weit im Voraus erahnt, denn hier zählt nicht die Pointe oder die Überraschung, sondern die Stimmung, das Gefühl. Chris Versuche, seinem Alltag einen festgelegten Rhythmus mit immer wiederkehrenden Tätigkeiten und Ritualen zu geben und gleichzeitig gegen die schrecklichen, blitzartigen Erinnerungsbilder von dem Unfall fertig zu werden, lassen ihn zugleich traurig, tragisch und auch etwas komisch wirken, vor allem im Zusammenspiel mit dem skurrilen, frechen, unangepassten Lewis, der so etwas wie ein neuer Vater für ihn geworden ist, entwickelt er einen jungenhaften, unbeholfenen Charme, der ihn zu einer ganz besonderen Hauptperson macht. Auch später entsteht die Spannung weniger aus der Neugier, wie die Geschichte wohl weitergehen wird (denn das wissen wir bald), als vielmehr aus der Frage, ob und wann Chris anfangen wird, sich zu wehren und letztlich auch um seine Würde und sein Leben zu kämpfen. Bis ungefähr zehn Minuten vor Schluß ist dies eine vorzüglich gespielte und inszenierte Kleinstadtstudie über Außenseiter, Kriminelle, Familienklüngel und arglose, brave Bürger, und just indem er Gewalt und Action einbaut, büßt Frank, der auch das Drehbuch schrieb, entscheidend an Glaubwürdigkeit ein. Der treudoofe und absolut harmlose Dorfpolizist mutiert im ersten Showdown in der Bank urplötzlich zum geschmeidigen Scharfschützen, der drei Gangster erledigt, bevor es ihn selbst erwischt, und im zweiten Showdown, als Chris es mit den letzten beiden Überlebenden aufnehmen und zugleich sich und Lewis retten muß, greift er so selbstverständlich zu einer von Papis großkalibrigen Flinten, wie ich persönlich mir das nicht vorstellen kann – aber ich bin ja auch kein Amerikaner. Geradezu märchenhaft dann das Finale, in dem Chris aufgrund seines offiziell attestierten mentalen Handicaps und trotz vorliegender Videobänder vom Bankraub nicht nur rehabilitiert, sondern gleich zum Helden gestempelt wird, als er das geraubte Geld zurückbringt. Als Abschluß einer schwarzen Komödie wäre so etwas denkbar, dieser Film jedoch nimmt sich und sein Personal weitgehend ziemlich ernst und ist darin auch sehr überzeugend, nur eben mit dieser Einschränkung. Der an sich sehr prominente Drehbuchautor hat hier den debütierenden Regisseur im Stich gelassen, und das fand ich schon ein wenig schade, denn vieles ist recht bemerkenswert an diesem Film – die Darsteller, die schön getroffene Atmosphäre mit starken Bildern aus dem öden Mittelwesten und der ruhige, langsam fließende Erzählrhythmus, der einen schön melancholischen, dunklen Touch hat. Auf jeden Fall ist der Film eine annehmbare Alternative zum Mainstream, und im Vergleich zu „Brick“ haben mir Atmosphäre und Story eigentlich auch besser gefallen, nur eben mit oben benannter Einschränkung. Weiterhin aber bleiben diese sogenannten „kleinen“ US-Filme für mich viel interessanter als das Durchschnittszeug, das sich nach wie vor auf unseren Leinwänden breit macht. (13.9.)