Azuloscurocasionegro (Dunkelblaufastschwarz) von Daniel Sánchez Arévalo. Spanien, 2005. Quim Gutiérrez, Marta Etura, Raul Arévalo, Antonio de la Torre, Eva Parallés, Héctor Colomé, Manuel Morón
Eine Familiengeschichte – irgendwie. Jorge schließt ein Fernstudium ab, arbeitet aktuell als Pförtner, möchte aber mehr. Das Nachbarsmädchen Natalia ist eigentlich sein Traum, als sie aber nach längeren Reisen wieder vor der Tür steht, will sich die alte Vertrautheit trotz gelegentlicher körperlicher Zusammenkünfte nicht wieder einstellen. Der Vater ist nach einem Schlaganfall an den Rollstuhl gefesselt und wird von Jorge gepflegt. Bruder Antonio sitzt im Knast, trifft dort Paula, will mit ihr eine Zukunft aufbauen, erweist sich jedoch als zeugungsunfähig und hat deshalb schlechte Chancen bei Paula, denn die will unbedingt schwanger werden, um in den Mutter-und-Kind-Trakt verlegt zu werden, wo sie nicht mehr so übel drangsaliert würde. Antonio kommt raus und bittet Jorge, Paula zu schwängern. Paula und Jorge kommen sich näher, Paula und Antonio entfernen sich, Jorge und Natalia entfernen sich ebenfalls. Israel versucht ein paar krumme Touren mit dem Geld des Vaters, hört dann aber damit auf. Und dann gibt’s noch die Geschichte von Jorges bestem Freund Israel, der vom Dach aus in die gegenüberliegenden Wohnungen spannt und eines Tages seinen Vater sieht, wie der sich beim Masseur einen runterholen lässt. Erst erpresst er anonym Geld, dann aber probiert er die Massage selbst aus und sieht vielleicht seinen Vater von nun an mit anderen Augen.
Mit scheinbar bruchloser Leichtigkeit wechselt Daniel Sánchez Arévalo in diesem sehr gelungenen Film die Tonarten und die Themen. Zumeist bleibt er überaus privat und intim, manchmal aber erweitert er doch den Blick und zeigt beispielsweise Jorges Versuche, im Anzug-mit-Krawatte-Business einen Fuß in die Tür zu bekommen, womit er natürlich jedes Mal scheitert und jedes Mal aufs Neue gedemütigt wird. Die Welt der großen Geschäfte, der glatten Fassaden und des großen Geldes in nicht die Welt, in der sich unsere Protagonisten hier bewegen, und selbst wenn Natalia eines Tages doch Einlaß erhält und scheinbar dazu gehört, muß sie dem eifersüchtigen Jorge deutlich machen, dass auch sie einen hohen Preis für das Scheinprestige bezahlt, denn sie muß sich finanziell und menschlich ausbeuten und sich mit vagen Aushilfsverträgen abspeisen lassen, und mit Erfolg hat das in Wirklichkeit herzlich wenig zu tun. Weitere Außenseitertypen werden von Jorges Vater und seinem Bruder repräsentiert, der eine ein unmündiger, dementer und gleichwohl tyrannischer Pflegefall, der andere ein kleiner Krimineller, der es natürlich sehr schwer haben wird, überhaupt wieder auf die Beine zu kommen. Genau wie Paula, die unwissentlich Drogen schmuggelte und dafür eingebuchtet wurde, schon eine Totgeburt hatte, im Frauentrakt von einer Gang brutal misshandelt wird und sich nur danach sehnt, in eine halbwegs bürgerliche Existenz zurückkehren zu können, egal um welchen Preis. Der Film nähert sich all diesen höchst unterschiedlichen Menschen mit gleichbleibender Vorurteilslosigkeit, Offenheit und Zuneigung, er beeindruckt durch seine Zärtlichkeit, seine Intimität, seinen forschen Witz und dann auch seine Ernsthaftigkeit, die er immer dann an den Tag legt, wenn es um die Versuche dieser Leute geht, aus ihrem verkorksten Dasein doch noch etwas Brauchbares zu machen. Sánchez Arévalo bleibt sehr dicht an seinen Figuren dran, umreißt ihr Milieu in knappen Bildern, konzentriert sich auf das alltägliche menschliche Miteinander und kann dabei auf seine wunderbaren Schauspieler zurückgreifen, die genau wie Buch und Regie eine perfekte Balance zwischen leiser, manchmal auch etwas exzentrischerer Komik, Melancholie und realitätsorientierter Darstellung halten. Aus Spanien sind in letzter Zeit immer mal Filme dieser Art gekommen, und die gefallen mir sehr gut, weil sie im Vergleich etwa zu den britischen Sozialfilmen immer ein wenig unberechenbar und überraschend bleiben, ohne dabei andererseits in eine Freak Show wie beim frühen Almodóvar auszuarten. (24.7.)