Ein fliehendes Pferd von Rainer Kaufmann. BRD, 2007. Ulrich Noethen, Katja Riemann, Ulrich Tukur, Petra Schmidt-Schaller

   Um im zu Zeit angesagten Kinojargon zu bleiben: Walser für Anfänger. Nicht zu böse, nicht zu komplex, nicht zu schwierig, andererseits aber so, dass man sich sehr wohl gut unterhalten fühlt und dies auf einem annehmbaren Niveau. Eine typisch deutsche Komödie in vieler Hinsicht, mit ein wenig Unterbau, aber wenn man es ganz genau nehmen will, muß der Versuch, Walser zu verfilmen, zwangsläufig flach fallen, denn dessen kunstvoll gedrechselte Sprache, wie immer man dazu stehen mag, fehlt einfach im Film, und sie ist bei oft stark reduzierter äußerer Handlung wesentlich für die Substanz der Sache. Woran man sich immerhin erfreuen kann, sind prachtvolle Bilder vom Bodensee und ebenso prachtvolle, bestens besetzte Darsteller in Höchstform.

   Die Konstellation ist im Grunde simpel, klischeehaft und durchläuft bis zum Schluß nur geringfügige Veränderungen oder Variationen: Im Mittelpunkt steht Helmut, Lehrer in München, Ehemann und Familienvater, ein muffeliger, verklemmter, vergrämter Intellektueller, ein Gewohnheitstier und in allem das präzise Gegenteil eines spontanen, lebensfrohen Genussmenschen. Seine Gattin Sabine ist mit ihm zwar längst nicht mehr glücklich, doch nach sechzehn Ehejahren hat man sich arrangiert, lebt halt so dahin, ist sexuell ermüdet und allgemein unfroh und erstarrt. In ihren jährlichen Urlaub in Überlingen platzt eines Tages Helmuts alter Schulkamerad Klaus, eine furchtbar peinliche Nervensäge, aber eben ein fröhlicher, unternehmungslustiger, sinnenfroher Zeitgenosse mit einer schönen jungen Frau im Arm, Helene, in die sich Helmut sogleich verguckt und die der einzige Grunde ist, Klaus’ aufdringliche Gegenwart zu ertragen, was ihm noch schwerer fällt, als die beiden auch noch das Ferienhaus nebenan mieten und sich endgültig bei ihnen einnisten. Alles kommt, wie wir es erwarten dürfen: Helmut nähert sich Helene, Klaus schmeißt sich an Sabine ran, so recht wird aus keiner der beiden Flirts was, doch natürlich erkennt Sabine nun erst recht, welch verknöcherten Leichnam, sie an ihrer Seite hat, und Helmuts Frust wächst ständig, weil Klaus ihn bei jeder Gelegenheit der Lächerlichkeit preisgibt und er natürlich auch spürt, wie viel attraktiver der andere auf Frauen wirken muß. Statt jedoch die Herausforderung anzunehmen und auf Sabines offen geäußerte Wünsche einzugehen, reagiert er wie ein beleidigtes Kind, wird weinerlich und aggressiv, macht Szenen und betrinkt sich, und auf einem gemeinsamen Segeltörn mit Klaus kommt es fast zum Äußersten, als der verhasste Kerl im Gewittersturm ins Wasser fällt und Helmut ihn nicht wieder an Bord ziehen will sondern ihn ertrinken lassen möchte. Klaus taucht durch ein Wunder wieder auf, doch es hat einen Bruch gegeben, den Helmut nicht wieder kitten kann. Klaus und Helene verschwinden überraschend und Helmut und Sabine werden sich wieder zusammenraufen.

 

    Wie gesagt, Stereotypen allerorten, wenig überraschendes oder besonders tiefgehendes. Das Porträt des spießigen Intellektuellen, dessen größtes Hobby bezeichnenderweise das Vogelbeobachten ist und der es folgerichtig im Bett auch nicht mehr bringt (das platteste Klischee überhaupt!) ist wahrlich nicht neu und erfährt hier auch keine originellen Ergänzungen. Manches daran mag realistisch und gut beobachtet sein, manches auf bös treffende Weise satirisch überzeichnet und daher auch noch erlaubt, anderes wiederum hat mich ein bisschen geärgert, weil es halt die alte Leier ist und man das nicht nur von Walser kennt (der sich wahrscheinlich mal wieder selbst gemeint hat) sondern auch von Dutzenden anderer Farcen dieser Art. Immerhin ist Ulrich Noethen einmal mehr brillant in einer Rolle, die schon äußerlich genau zu ihm zu passen scheint, und die er sich mit gewohnter Präzision und Unaufdringlichkeit einverleibt hat. Eine feine, wunderbar detaillierte Darstellung, auch wenn man an sich keine rechte Freude daran hat. Die Figur des Klaus ist im Grunde noch schlimmer, weil viel zu abstrus, ein laut blökender, jovialer Idiot, der scheinbar gar nichts merkt, durch seine Einfalt besticht, dann aber wieder mit überraschendem Scharfsinn und gänzlich überraschenden Fähigkeiten um die Ecke kommt. Wenn Ulrich Tukur nicht mit soviel Verve und glänzender Spiellaune aufwartete, wäre dies ein großes Ärgernis, so gibt’s immerhin ein paar nette Kabinettstückchen und launige Sprüche. Auch die Damen sind vortrefflich besetzt, auch wenn die Rollen nicht ganz so plastisch ausgeformt sind, weil sich der Walser ja immer schon viel eher in die Männer hineinversetzt hat. Es gibt ein paar Szenen, in denen die Dynamik dieser zwei Paare unangenehm nahe an die selbst erlebte Wirklichkeit heranreicht, das meiste jedoch spielt sich in angenehmer Entfernung vom eigenen Erlebnishorizont ab, sodaß man fröhlich mitlachen kann, wenn es etwas zu lachen gibt und sich ansonsten nicht allzu sehr betroffen fühlen muß. Aber routinierte, geistreiche und wunderschön fotografierte und gespielte Unterhaltung ist auf alle Fälle garantiert. (30.9.)