Se, Jie (Gefahr, Begierde) von Ang Lee. China/USA, 2007. Tang Wei, Tony Leung, Joan Chen, Wang Lee-Hom

   Zu „Brokeback Mountain“ vor Jahresfrist habe ich das schon mal geschrieben, und auf den neuen Film von Ang Lee trifft das leider in gleichem Maße zu: Perfektes Handwerk, opulente Bilder, edle Fassade, dennoch ein Film, der mich wenig bis gar nicht berührt hat. Nun sind Melodramen meine Sache sowieso nicht, und zweieinhalb Stunden Dauer machen die Sache auch nicht besser, zumal man sie in der zweiten Hälfte sehr deutlich zu spüren bekommt. Dennoch habe ich mich wirklich um Empfänglichkeit bemüht, doch es hat mir kaum genützt. Fast muß man befürchten, der Mann hat zwar nicht seinen Stil und sein inszenatorisches Können verloren, wohl aber die Fähigkeit, seine Geschichte so zu erzählen, dass sie unsereinem auch nahe geht. Nur ein einziges mal war eine deutliche Reaktion im Publikum zu hören, genauer gesagt vom weiblichen Teil desselben (eh die Mehrzahl, logisch), als nämlich gegen Ende ein protzig eingefasster Diamantring zu bestaunen war. Die Amis haben’s schon gewusst: Diamonds are a girl’s best friend...

   Eine Geschichte über vier Jahre zwischen Hongkong und Shanghai, zwischen Krieg, Liebe, Verrat, Spionage und letztlich Tod. Wang gerät Ende der 30er Jahre als ganz junge Studentin an eine Theatergruppe, die sich auf patriotische Durchhaltestücke spezialisiert hat, denn der Krieg mit den Japanern steht vor der Tür und die Angst vor dem verhaßten, grausamen und vor allem stärkeren Nachbarn ist groß. In der sicheren Kolonie Hongkong kann die Gruppe einen Anschlag auf den besonders infamen Herrn Yi planen, der mit den Japanern kollaboriert und damit gute Geschäfte macht. Wang erklärt sich bereit, als Köder zu dienen, doch der Plan misslingt, die Gruppe wird gesprengt und trifft sich erst drei Jahre später im mittlerweile besetzten Shanghai wieder. Dort wird der Attentatsplan wieder aufgenommen, Wang übernimmt ihre frühere Rolle und schafft es, Yis Geliebte zu werden, nur wie man sich denken kann, laufen die Dinge für sie damit aus dem Ruder. Einerseits genießt sie ihre neue Identität als mondäne, luxuriös gewandete und geschminkte Mätresse eines einflussreichen Politiker, und der Sex mit ihm versetzt sie in einen schwer zu kontrollierenden Rausch, doch seine rücksichtslose Grausamkeit den Chinesen gegenüber und sein besitzergreifendes Machtdenken ihr gegenüber bleiben Fakt. Trotzdem warnt sie ihn vor dem Anschlag, die gesamte Gruppe, auch sie, wird zum Tode verurteilt und erschossen.

 

   Der Film hat alles, was zum klassischen Genre dazu gehört: Erlesene Dekors, sorgsame Ausstattung, detailliertes historisches Kolorit und eine Handvoll Menschen, die sich in der typischen Halbwelt bewegen, die Teil des Spiels ist. Wang wird in die Welt des Herrn Yi eingeführt, wird auch zur Vertrauten seiner Gattin und als solch Mitglied des exklusiven Majong-Klubs, der weiterhin stattfindet, egal wie groß das Elend in der Stadt ist. Ang dirigiert all diese Zutaten mit bewährtrer Kunstfertigkeit, nur habe ich es nicht geschafft, so etwas wie Nähe zu dem Geschehen herzustellen, es lief glatt und elegant an mir vorüber und hat kaum etwas hinterlassen. Die ersten Begegnungen Wangs mit Herrn Yi sind von sehr schöner, tiefer Intensität und deuten an, was vielleicht möglich gewesen wäre, doch geht Ang diesen Weg nicht weiter. Da helfen auch die ausgiebigen erotischen Szenen nichts, die wohl zeigen wollen, in welchen Sog sich Wang und Yi begeben, die aber letztlich selbstzweckhaft wirken und obendrein durch häufige Wiederholung die Langatmigkeit des Films fördern. Wie schon in „Brokeback Mountain“ hatte ich nach cirka sechzig, siebzig Minuten das Gefühl, der Film bewege sich auf der Stelle und komme nicht mehr voran, entwickele sich  nicht mehr. Die Ausgangskonstellation wird sehr früh etabliert, die grundsätzliche Konflikt ist nach zehn Minuten manifest, doch es fehlt deutlich an Spannung, und das hat nichts mit Tempo oder Action zu tun. Die innere Spannung fehlt vor allem, weil sich die Figuren nicht entwickeln und weil man ihnen nicht nahe kommt. Der historische Hintergrund ist relativ übersichtlich und wird geschickt integriert, doch Wangs wirkliche Motivation, sich derart in Lebensgefahr zu begeben, bleibt bis zum Schluß unklar. Sie wird nicht als dogmatisch eifrige Patriotin gezeigt und auch nicht als aufrechte Kommunistin oder glühend entschlossene Kämpferin. In Zwiespalt der Gefühle in Bezug auf Herrn Yi wird in einer Szene deutlich, da sie ihrem Auftraggeber ihre Gefühle offen legt und beschreibt, wie sehr er mittlerweile Kontrolle über sie hat und sich in ihr Herz geschlichen hat, doch für meinen Eindruck bleibt zu vieles in Angs Film an der Oberfläche, zu glatt und gekonnt. Immerhin sind die beiden Hauptdarsteller hervorragend, nur hätte man ihnen vielleicht mehr starke Momente gewünscht und nicht nur eine kunstvolle aber auch künstliche Sexchoreographie (für uns mittelalterliche Arthroseopfer wohl nicht mehr zur Nachahmung empfohlen...). Wer also einen Beweis für die These braucht, dass gefälliges, gediegenes Kunstkino nicht automatisch auch gutes, starkes Kino ist, kann sich hier in aller Länge und Breite davon überzeugen. Wer einen guten neuen Film von Ang Lee sehen möchte, muß allerdings auf das nächste Werk hoffen. (24.10.)