Liebesleben von Maria Schrader. BRD/Israel, 2007. Netta Garty, Rade Serbedzija, Ishai Golan, Stephen Singer, Tovah Feldshuh, Caroline Silhol, Khali Coury

   Jara, eine junge Studentin aus Jerusalem, verliebt sich in Arie, einen alten Freund ihres Vaters, und obwohl der sie regelmäßig grob und demütigend behandelt, fühlt sie sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen. Sie erlebt ihre eigenen Grenzen und Wünsche neu, begibt sich gegen den Widerstand ihrer Familie und ihres Ehemannes immer wieder in haarsträubende Situationen, und kommt schließlich dahinter, welche Rolle Arie in der Vergangenheit ihrer Eltern gespielt hat. Obwohl diese Enthüllung einigermaßen erschüttend ist, entschließt sie sich, zu ihren Gefühlen und ihrer neu gefundenen Identität zu bekennen.

 

   Klingt wie ein Groschenroman oder die Synopsis einer Daily Soap? Klar doch, und ich glaube auch nicht, dass ich den zugrunde liegenden Roman von Zeruya Shalev wirklich lesen möchte, und obwohl von vornherein sehr viel dafür spricht, dass daraus ein weiteres unsägliches Melodram für Privatsender geworden ist, war ich von dem Film doch beeindruckt. Maria Schrader hat ihr Regiedebut tatsächlich äußerst gefühlsintensiv und ausdrucksstark gestaltet, hat Literatur großartig in Bilder umgesetzt in einer Art erotischer Selbstfindungsgeschichte, in der zugegebenermaßen nicht alle Elemente gleich gut funktionieren. Vor allem die Selbstfindung kommt zum Schluß ein wenig abrupt und überraschend über uns – Jara hat sich von ihrer Mutter nach erbittertem Hin und Her zwischen bohrendem Nachfragen und sturer Abwehr erzählen lassen, wie die selbst einst Arie liebte, sich aber von ihm trennte, weil sie mit ihm keine Kinder bekommen konnte und so weiter, alles ziemlich belastender Kram also, und plötzlich erklärt sie, nun sicher zu sein, wer sie sei und was sie wolle und nun zuversichtlich nach vorne zu schauen und ihr eigenes Leben leben zu können. Nun ja. Da habe ich sicherlich schon überzeugendere und differenziertere Prozesse dieser Art im Film erlebt und würde daher diesen Aspekt lieber nicht in den Vordergrund gestellt wissen. Es reicht doch eigentlich, wenn man von einer schwierigen Liebesgeschichte spricht, einer Art rauschhaften, obsessiven, jeder Vernunft widersprechenden amou fou zwischen einer noch eher unerfahrenen jungen Frau und einem sehr charismatischen Graubart, einem Macho mit vielen Geheimnissen, der Sex eigentlich nur noch aus Langeweile betreibt und sich höchstens noch in einigen Extremsituationen lebendig zu fühlen scheint. So muß Jara allerhand Erniedrigungen über sich ergehen lassen und ein zunehmend absurdes Versteckspiel mit den Eltern und dem Gatten spielen, welches Arie sich wiederum belustigt und zugleich zynisch ansieht und damit gleichermaßen sein grausames Spiel treibt. Sie selbst ist hin und hergerissen zwischen Verletztsein, Abstoßung und dann auch wieder Faszination und Lust am Erkunden neuer Gefühle, und immer wenn der Verstand ihr sagt, das Ganze zu beenden und mit ihrem Mann auf verspätete Flitterwochen nach Istanbul zu fliegen, kommen ihr die unkontrollierbaren Gefühle in die Quere und ziehen sie zu Arie zurück. Über die eigentliche Substanz dieser ganzen Chose habe ich gar nicht mal so viel nachgedacht, weil Schrader das wirklich toll in Szene gesetzt hat, sinnlich und mutig und kompromisslos (ein wenig hat man sie als Schauspielerin darin wieder erkannt), unterstützt von zwei ganz fabelhaften Hauptdarstellern und einer grandiosen Kamera von Benedikt Neuenfels, die zum einen Jaras Seelenverfassung, ihren Gefühlstaumel nachfühlbar macht und zum anderen fantastische Bilder aus Jerusalem, der Wüste und Jaffa am Meer einfängt und zusammen mit den Schauspielern und der Regisseurin dafür sorgt, dass sogar solch misstrauische, kopfgesteuerte Knacker wie ich ausnahmsweise mal relativ fasziniert zuschauen und sich vom Sog der Impressionen mitziehen lassen. Eine sehr schöne Sache und der (seltene) Beweis, dass man eine auf dem Papier reichlich kolportagehafte Story im Film doch retten kann, wenn man es nur richtig macht. (8.11.)