Efter bryllupet (Nach der Hochzeit) von Susanne Bier. Dänemark, 2006. Mads Mikkelsen, Rolf Lassgård, Sidse Babett Knudsen, Stine Fischer Christensen, Christian Tafdrup, Frederi Gullits Ernst, Kristian Gullits Ernst, Ida Dwinger, Mona Malm
Familiendramen sind ganz offensichtlich Susanne Biers Spezialität – erst „Open Hearts“, dann „Unter Brüdern“ und nun „Nach der Hochzeit“, das ist eine richtige Trilogie, und das passt irgendwie auch, denn diese Filme haben viel gemeinsam, vor allem dies, dass die Regisseurin sich eine Menge traut. Erstaunlich dabei ist, den Namen Anders Thomas Jensens als Drehbuchautor zu lesen, denn den assoziiert man für gewöhnlich mit schrillen, grotesk überzogenen Extremfarcen und nicht mit seriösem Filmwerk wie diesem hier, aber vermutlich schlagen auch in dieses Mannes Brust zwei Herzen, das eine wüst und wild, das andere empfindsam und gefühlvoll, und je nachdem was er gerade tut, erholt er sich vom anderen.
Natürlich wird hier jede Menge Schicksal aufgehäuft, soviel eigentlich, um jeden gewöhnlichen Film locker unter sich zu begraben, und als Zuschauer ist mir dies zwischendrin durchaus bewusst: Ein Mann, der sich in Indien um arme Kinder sorgt, kommt zurück nach Dänemark, um dort einem möglichen Wohltäter einen Anstandsbesuch zu machen. Er gerät unfreiwillig in eine Hochzeit und erfährt dort, daß die Braut, eigentlich die Tochter jenes Wohltäters, in Wirklichkeit seine eigene ist, deren Existenz ihm die Mutter, die Frau des Wohltäters, bislang verschwiegen hat. Nun ringt dieser Mann also an der neu eröffneten Familienfront, ringt aber auch noch mit dem Wohltäter, einem stinkreichen, recht eigensinnigen und dominanten Herrn, der ihm alle möglichen Forderungen stellt und die dann an eine exorbitant großzügige Offerte knüpft. Dieser Herr ringt seinerseits mit einer tödlichen Krankheit und dem Ehrgeiz, bis zu seinem Tod geordnete Verhältnisse für die Familie und das unternehmen zu hinterlassen. Seine Ehefrau ringt mit widerstreitenden Gefühlen, denn der Ex ist offenbar nicht ganz aus ihrem Herzen verschwunden, ebenso ist die Tochter plötzlich hin- und hergerissen zwischen zwei Vätern und obendrein gebeutelt vom untreuen frisch getrauten Ehemann. Unser Mann vom Anfang schließlich befindet sich auch in einem schweren Gewissenskonflikt, denn der Wohltäter möchte ihn zwingen, in Dänemark zu bleiben, um für die Hinterbliebenen zu sorgen, er allerdings fühlt sich an ein Versprechen gebunden, das er einem Waisenkind in Bombay gegeben hat und das ihn eigentlich zur Rückkehr verpflichtet.
Reichlich Stoff also für eine dreiteilige Vorabendsoap, doch Susanne Bier hat mal wieder bewiesen, dass solch ein Stoff bei ihr in den richtigen Händen ist, denn bei aller Überfrachtung ist dies dennoch ein beeindruckender, sehr intensiver und mitreißender Film, der vor allem davon lebt, dass er seinen Personen konsequent vom Anfang bis zum Schluß ganz nahe ist. Das ist ganz wörtlich zu verstehen, denn sehr häufig rückt die Kamera den Schauspielern direkt bis an die Augen, lässt nur die Blicke, die Mimik Auskunft geben über ihren Gefühlszustand, sodaß gar nicht immer so viele Worte gemacht werden müssen um zu verstehen, was die Leute im einzelnen bewegt und umtreibt. Wie seine beiden Vorgänger wirkt auch „Nach der Hochzeit“ enorm groß- oder besser weitherzig: Die oftmals sperrigen und konträren Charaktere prallen ungefiltert und unvermittelt aufeinander in ihren Emotionen, Wünschen und Interessen, doch wird keine abwägende oder vergleichende Wertung über sie vorgenommen, jeder bleibt für sich als Individuum stehen, und nicht immer findet sich ein bequemer Weg, eine allseits angenehme Lösung. Die gewohnt nervös-bewegliche Kamera ist der eine Garant für Intensität und Intimität, die großartigen Schauspieler sind der andere, denn einmal mehr hat Susanne Bier ein Ensemble gefunden, das mit ihr durch Dick und Dünn geht, bis in alle Extreme, und das dabei vollkommen überzeugend und natürlich agiert und wirklich beeindruckt, ob nun der dunkel gefärbte, etwas agiler wirkende Wallander oder der wie immer stechend und fiebrig dreinblickende 007-Gegenspieler, von den Damen ganz zu schweigen, denn die sind bei den Skandinaviern sowieso immer toll. Wer also ein bißchen was vertragen kann und obendrein interessiert ist an hochkarätigem, kompromisslosen Schauspielerkino mit viel Drama und Gefühl, wird hier fündig. Ich finde jedenfalls, dass Susanne Bier ihren einmal gewählten Weg bemerkenswert gradlinig und qualitativ auf gleichbleibend hohem Niveau verfolgt und hoffe natürlich, dass dies so bleiben wird. (6.2.)