Nichts als Gespenster von Martin Gypkens. BRD, 2006. Maria Simon, August Diehl, Jessica Schwarz, Brigitte Hobmeier, Janek Rieke, Karina Plachetka, Stipe Erceg, Chiara Schoras, Sólveig Arnarsdóttir, Valur Freyr Einarsson, Wotan Wilke Möhring, Ina Weisse, Fritzi Haberland, Walter Kreye, Christine Schorn

   Fünf Kurzgeschichten über Menschen unterwegs, entnommen aus zwei Erzählbänden von Judith Hermann, und wie auch immer man den Film insgesamt beurteilen mag, so handelt es sich ganz bestimmt um eine vorzügliche Literaturumsetzung, der es auf selten eindrucksvolle Weise gelingt, den Fluß der Sprache auch ohne die oft üblichen platten Lesungen im Off nachfühlbar zu machen.

 

   Menschen unterwegs, das heißt Menschen im Südwesten der USA, Menschen auf Jamaika, Menschen auf Island, Menschen in Venedig und schließlich Menschen in Deutschland zwischen Berlin und Senftenberg/Brandenburg. Man reist zumeist in Paaren oder auch allein, trifft dann auf Fremde unterwegs, auf ein anderes Paar, auf die Eltern, auf den Ex oder man besucht einfach mal wieder eine Freundin. Aus diesen ebenso einfachen wie alltäglichen Konstellationen ergeben sich dann komplizierte, spannungsvolle Entwicklungen voller Mißverständnisse, Rivalitäten, Entfremdung und Einsamkeit, zumeist allerdings eher angedeutet. Die Protagonisten sind nicht mehr ganz jung, aber auch längst noch nicht gesetzt und etabliert, und sie reagieren auf die Eindrücke um sie herum sehr verschieden, die einen mit überschäumender Begeisterung, die anderen mit demonstrativem Mißvergnügen, dritte wiederum eher flüchtig, weil sie in Wirklichkeit zu sehr auf Beziehungskisten fokussiert sind. Denn um die geht es natürlich zuallererst und in unterschiedlichen Variationen, stets aber mit einem eigenartigen und zugleich faszinierenden Beigeschmack leichter, fast schwebender Melancholie. Für einen Schriftsteller ist dies viel leichter herzustellen als für einen Filmregisseur, und ich empfinde es als große Kunst, dass dies Martin Gypkens so vorzüglich gelungen ist. Dies ist eine Art Meditation über den modernen (westlichen) Menschen in einem Stadium vorübergehender (symptomatisch allerdings längst chronischer) Entwurzelung, und genau das ist es ja auch, was für mich das Reisen so reizvoll macht. Manche Reisen führen uns zu uns selbst, andere entfremden uns, manche hinterlassen tiefe Spuren, andere wieder nichts als Leere, und all das kann man hier sehen, ohne Anstrengung und ohne plakative Effekte. Die Schauspieler sind sämtlich großartig und werden ebenso in Szene gesetzt, die Bilder, die die Atmosphäre des jeweiligen Drehorts mit fantastischer Präzision und viel Gefühl für Licht und Farben einfangen, sind allein das Kommen wert, und endlich mal hat sich ein Filmemacher getraut, die einzelnen Episoden einfach so ineinander zu verschränken und doch nebeneinander stehen zu lassen, ohne irgendeinen künstlichen Zusammenhang zu konstruieren. Jede Geschichte steht für sich, und was einerseits sicherlich eine weitere Stärke des Films ist, mag andererseits auch als Schwäche durchgehen, je nachdem, denn im Grunde sieht man hier nicht einen langen Film, sondern fünf kurze, die lediglich ineinander geschnitten wurden. Und bei allem eleganten Bilderfluß bleiben uns die Protagonisten häufig fremd, denn wie schon gesagt wird kaum etwas hier einmal wirklich ausgespielt, sondern bleibt oft der Spekulation des Zuschauers überlassen, und wer sich gar nicht auf diese Geschichten einlassen und sie für sich weiter ausspinnen möchte, wird sicherlich wenig damit anfangen können. Wer aber diese Bereitschaft mitbringt, wird einen schauspielerisch und optisch außergewöhnlichen Film mit vielfältigen zwischenmenschlichen Reflexionen erleben. Mir ist es jedenfalls so gegangen. (4.12.)