Persepolis (#) von Marjane Satrapi und Marc-Antoine Robert. Frankreich, 2007
Schön zu sehen, dass es abseits der weitgehend konformierten Pixel- und Märchenwelt tatsächlich noch andere Möglichkeiten für den Trickfilm gibt. Ich persönlich erinnere mich nur an wenig Beispiele dafür, vor allem an den sehr starken „Farm der Tiere“ aus den 50ern und den Atomkatastrophenfilm „Wenn der Wind weht“ aus den 80ern und bestenfalls noch an den wunderbar eigenwilligen „Das große Rennen von Belleville“ von vor zwei, drei Jahren. Es gibt sicherlich zahllose Möglichkeiten, auch anspruchsvollere, erwachsene Geschichten auf diese Weise zu erzählen, hier zumindest kann man das buchstäblich schwarz auf weiß erleben.
Marjane Satrapi erzählt ihr eigenes Leben: Aufgewachsen im Iran des Schah, in einem Regime der Ungleichheit und der Unterdrückung. Die politisch engagierten, intellektuellen Eltern und andere Oppositionelle in der Familie und der Bekanntschaft prägen das freche, aufmüpfige kleine Mädchen und ermutigen es, sich immer eine eigene Meinung zu bilden. Nach dem Sturz des Diktators wird seine scheinbar westlich ausgerichtete lediglich durch eine archaischere Diktatur ersetzt, nämlich die des Schleiers und des Korans, und zusätzlich wird das Land durch den schrecklichen endlosen Krieg mit dem Irak ausgezehrt, einen Krieg, den der Westen ganz nach seinen Interessen mit Waffengeschäften befeuert. Schwere Zeiten für alle, besonders für ein unangepasstes, lebenslustiges Mädchen wie Marjane, das lieber seinen Spaß haben und Iron Maiden hören will und keinen Sinn hat für die Unterdrückung der Frauen und die stumpfsinnige Gleichschaltung des gesamten öffentlichen Lebens von der Gesinnung bis hin zur Kleidung. Marjane wird von den Eltern dann erst mal nach Wien zu Verwandten geschickt, raus aus der Gefahr und in eine neue Welt, die sich jedoch auch nicht als das Paradies entpuppt. Die Tante entledigt sich ihrer allzu bald, und sie muß sich allein durchschlagen und macht zwischen Null-Bock-Punks, bunten Pillen, viel Akohol und unerfreulichen ersten Bekanntschaften mit dem anderen Geschlecht wenig erbauliche Erfahrungen. Sie kehrt nach Hause zurück, erlebt Teheran aber noch immer im Würgegriff der brutalen Mullahs und muß einsehen, dass ein frei denkender und lebender Mensch zwischen Folter, islamistischem Terror und ständiger Bedrohung durch brutale Militärs keine Zukunft hat. Sie verabschiedet sich wieder von ihrer Familie, diesmal vielleicht endgültig, und geht nach Paris, wo sie trotz immer wieder aufkommenden Heimwehs auch bleibt.
Abgesehen davon, dass dies zunächst mal ein sehr mutiges, eindrucksvolles und radikal offenes persönliches Statement ist, wofür Marjane Satrapi allein schon größter Respekt gebührt, besticht „Persepolis“ darüber hinaus durch seine Vitalität und Originalität. Weit ab von der öden Hochglanzperfektion aktueller Trickfilme gibt sich dieser Film betont unbehauen, frisch und roh und benutzt die Möglichkeiten des Genres ganz bewusst für politische und satirische Polemik. Die Perspektive des rebellischen kleinen Mädchens wird wunderbar umgesetzt, die Verbrüderung mit der ebenso unangepaßten und lebenslustigen Großmutter auch, und einige wenige Szenen genügen vollauf, um ein anschauliches Schreckensbild vom Leben im islamistischen Unterdrückungsstaat zu zeichnen. Zwischendurch gibt’s immer mal überraschend frechen Humor und ein paar schöne Respektlosigkeiten gegen die vermeintlich ach so freie und kultivierte westliche Welt, und in jedem Fall ist es Satrapi wunderbar gelungen, ihre Leidenschaft und Emotionalität in sehr einprägsamen Sequenzen festzuhalten. Das Zerrissensein zwischen der Heimat, in der sie nicht leben kann, und der Fremde, in der sie eigentlich nicht leben will, wird immer wieder thematisiert, ebenso wie ihr Kampf um Autonomie als Frau und als frei denkender Mensch in einer Welt, die für beides keinen Platz hat.
Allein durch seine sperrige Optik, aber auch durch seine entschlossene Aussage sowohl politisch als auch privat hebt sich „Persepolis“ deutlich ab vom Mainstream und könnte damit durchaus als Vorbild für kommende Nacheiferer dienen. Die Realität aber wird uns eines Besseren belehren – die nächste Disney-Pixar-Dröhnung wartet bestimmt schon auf uns. (3.12.)