Prinzessin von Birgit Grosskopf. BRD, 2006. Irina Potapenko, Henriette Müller, Desirée Jaeger, Amina Schichterich, Caroline Peters, Martin Keifer
Noch ein Film über Girls, doch im Vergleich zu „Prinzessinnenbad“ ein wenig anders gelagert. Während letzterer in einem ganz konkreten Milieu spielt (eben Berlin-Kreuzberg), ist „Prinzessin“ bewusst so anleget, dass er auf jede deutsche Großstadt anwendbar wäre. Die Bilder aus dem Vorort könnten von überall stammen – die anonymen, kalten Betonwohnblocks, die trostlosen Wohnungen, Hauseingänge, Parkplätze undsoweiter, die großen Shopping Malls und Gewerbegebiete auf der grünen Wiese, die Etap-Hotels in Autobahnnähe, die Clubs und Discos in der Stadt, die öden nächtlichen Straßen, die S-Bahnsteige der Außenbezirke, die Unterführungen, all dies sind sehr vertraute Bilder, die für jede Stadt gelten, so wie die Mädchen hier in jeder Stadt leben könnten und das, was sie tun, sich in jeder Stadt zuträgt.
Eine Gang bestehend aus vier sehr unterschiedlich alten Mädchen aus deutsch-russischem Umfeld. Rumhängen und Saufen ist angesagt, Aggressionen und Gewalt sind allgegenwärtig, die Familien zumeist kaputt, Schule oder andere regulierende Tagsordnungspunkte finden kaum statt, viel eher Kriminalität im Kleinen, Geschichten von ruppigem Sex, Auseinandersetzungen mit anderen Gangs und dem Trümmern der Familie, vorzugsweise feindseligen Eltern oder Geschwistern. Yvonne steht kurz vor dem Rauswurf zuhause, klaut vom Freund der Mutter eine Knarre und müsste sich eigentlich im Knast melden, wo sie eine kurze Strafe abzusitzen hat. Katharina versucht im Hotel zu jobben und wenigstens irgendetwas auf die Beine zu stellen, Jenny ist Mitläuferin und will die beiden großen mit ihren Sexgeschichten beeindrucken, und Mandy ist die kleine Göre, die immer mit dabei ist und einfach nur jenseits von Gut und Böse ein völlig entwurzeltes kleines Mädchen mit dem Habitus eines Vamps. Man kann sich schnell ausmalen, dass diese Konstellation zwangsläufig in Gewalt und Tod münden muß, und folgerichtig stirbt Yvonne am Schluß durch die Kugel eines Polizisten, und die Story an sich, sowieso nur sehr rudimentär und knapp skizziert, ist auch nichts besonderes. Die Stärken des Films liegen anderswo, nämlich in den sehr eindrucksvollen und erschütternden Milieustudien, dem authentischen Gefühl für Sprache und Umgangsformen und den großartig spielenden Darstellerinnen, die ihre wahrlich nicht einfachen Rollen mit sehr viel Mut und Offenheit herüberbringen. Der Zusammenhang von familiärem, wohnlichen und sozialen Umfeld und der Entwicklung des Einzelnen ist hinreichend bekannt, die Existenz zahlloser sogenannter sozialer Brennpunkte mit hohem Migrantenanteil, Arbeitslosigkeit, Verarmung, Kriminalität etc. gleichsam, und aus alldem machen die Regisseurin und ihre Co-Autorin auch gar keine große Sache oder gar ein soziologisches Pamphlet. Sie begleiten und beobachten die vier Mädchen auf ihren Wegen irgendwo zwischen Weihnachten und Silvester durch die Siedlung, in der S-Bahn, in der Stadt, auf Familien- und anderen Feiern und sonst wo, beschreiben die sich zuspitzende Spirale von Frust, Angst und Aggression und auch die daraus resultierenden zunehmenden Spannungen zwischen Yvonne und Katharine, die die dominanten Charaktere in der Gruppe sind. Yvonne ist beherrscht von Wut und dem Zwang, diese Wut körperlich auszudrücken. Ihr Verhältnis zur Umwelt ist von ständiger Feindseligkeit gekennzeichnet, jede ihrer Gefühlsäußerungen ist negativ, und natürlich wissen wir, woher das kommt, wenn wir nur zwei, drei Szenen von ihrem Leben zuhause mitkriegen. Katharina versucht, trotz ähnlicher Disposition wenn auch weitaus geringerer Gewaltbereitschaft aus dem fatalen Kreislauf herauszufinden, hält aber trotzdem immer wieder den Kopf hin für ihre Freundin, kann sie dennoch schlußendlich nicht retten. Ihr Verhältnis zu Jungs ist geprägt von dem, was diese Jungs ihnen vorgeben, nämlich das gleiche Spiel von Aggression und Einschüchterung, und ganz anders als in „Prinzessinnenbad“ scheint es hier auf der ganzen Linie überhaupt keine glaubhafte Perspektive zu geben. Das Bild vom Leben in den Wohnghettos ist noch deutlich düsterer und pessimistischer als das Bild vom Leben im Innenstadtkiez, das Umfeld ist noch eine ganze Ecke menschenfeindlicher, die Ausgrenzung noch viel stärker spürbar. Eine ernüchternde, eindrucksvolle und bestechend realistisch gestaltete Zustandsbeschreibung, die es dem Zuschauer eben nicht erlaubt, das Gesehene als typisch Berliner oder Kölner Verhältnisse abzutun, denn genau das wird hier vermieden. Außerdem ziemlich raues, schroffes, elementares Kino, das zwischendurch einfach mal sein muß. (9.10.)