Saint-Jacques...La Mecque (Saint Jacques – Pilgern auf Französisch) von Coline Serreau. Frankreich, 2005. Muriel Robin, Artus de Penguern, Jean-Pierre Darroussin, Pascal Legitimus, Marie Kremer, Flore Vannier-Moreau, Aymen Saïdi, Nicolas Cazalé 

   Weshalb solch ein Film satte zwei Jahre benötigt hat, um nun auch in unseren Sälen zu landen, weiß der Geier, aber statt zu meckern sollte ich wahrscheinlich dem lieben Gott (heißt der neuerdings etwa Hape Kerkeling???) danken, daß es überhaupt dazu gekommen ist und ich nicht wie immer auf Arte warten muß. Immerhin – ein neuer Film von Coline Serreau. Seit „Die Krise“ vor sage und schreibe fünfzehn Jahren habe ich nichts mehr von ihr gesehen (und auch wenig gehört), und ein rascher Blick bei Wikipedia sagt mir auch, dass sie seither sowieso nur zwei Filme gemacht hat, die bei uns mehr oder weniger untergegangen sind. Dieser Film hier profitiert sicher von dem Pilger-Boom, den der oben genannte „Komiker“ ausgelöst hat und zudem von dem konstanten Bedürfnis der Menschheit nach „feelgood-movies“, obwohl es eine Schande wäre, dieses wunderbare Werk in eine Schublade mit allerhand Seichtkram stecken zu wollen.

   Coline Serreau schickt acht Leute unter der Führung des erfahrenen Guy auf die wochenlange Reise über die Pyrenäen nach Santiago de Compostela, und wie nicht anders zu erwarten ist hier der Weg das Ziel und dient die unendlich beschwerliche Wanderung zur Klärung von allerhand Konflikten und Lebenskrisen, ohne dass daraus hier aber eine öder Psychokiste gemacht worden ist. Drei Geschwister sind unterwegs, um den letzten Willen ihrer Mutter zu erfüllen, die ihre viele Kohle erst dann ausschüttet, wenn die drei restlos zerstrittenen Individuen – eine gestresste Lehrerin, ein gestresster Workaholic, ein fertiger Alkoholiker – zumindest den französischen Teil des Jakobsweges gemeinsam und ohne umzukehren bewältigen. Eine Frau nach eine Krebsoperation ist dabei und verspricht sich Heilung und neue Kraft, zwei junge Mädchen sind dabei, die die Reise geschenkt bekommen haben, und schließlich zwei junge Araber, von denen einer auf eines der Mädchen scharf ist und sich an ihre Fersen heften wollte, und der andere glaubt, die Reise ginge nach Mekka (La Mecque) und er könne auf dem Weg dorthin seiner Mutter zuliebe endlich lesen lernen. Bis es zu einem verhältnismäßig märchenhaft guten Ausgang kommt, sind zahllose Streitigkeiten zu überstehen, springen viele der Beteiligten über ihren sprichwörtlichen Schatten, lernen sie, aufeinander zuzugehen, auch mal loszulassen von festgefahrenen Ansichten, sich dem Rhythmus des Wanderns zu überlassen, finden sie neue Kraft, neue Freundschaft und so weiter. Die Geschwister raufen sich zusammen und entdecken ihre Gefühle füreinander neu, Saïd kriegt sein Mädchen, sein Kumpel, dem zwischendurch die Mutter stirbt, findet eine neue Familie, und Guy, dessen Gattin ihn zuhause mit dem besten Freund betrügt, tut sich mit der Krebsfrau zusammen.

 

   Ein echtes Happy End also, das “Saint-Jacques” vermeintlich als Wohlfühlfilm abstempelt (immer wenn ich das Wort höre, muß ich kotzen!), doch habe ich das ganz und gar nicht so gesehen. Frohen Mutes erinnerte ich mich daran, was ich an Serreaus Filmen immer so geschätzt habe – sie halten einen wach, weil man stets mit etwas Überraschendem rechnen muß. Immer wenn es ein wenig zu gefällig und gefühlig wird, gibt’s einen Tritt in den Hintern, und immer wenn es zu schwer und lastend zu werden droht, kippt die Stimmung ins Komische oder Absurde. Diese Launenhaftigkeit ist zum einen enorm unterhaltsam und bewahrt den Film zum anderen zu jeder Zeit davor, entweder zu seicht oder zu geschwätzig zu werden. Drastische Satiren (die Nonnen, die die „Wunschzettel“ der Pilger durchgehen, bei Bedarf abwandeln oder gleich in die Tonne hauen!) wechseln ab mit zärtlichen Momenten, skurril-lyrische Traumsequenzen treffen auf deftige Verbalduelle oder liebevollen Slapstick. Serreau zeigt hier ihre ganze Meisterschaft als Regisseurin, indem sie eine wunderbare Balance zwischen Spaß und Ernst hält, indem sie uns beständig auf der Kante unserer Kinosessel hocken läßt, und indem sie es schafft, ihre und unsere Sympathien schön gleichmäßig und demokratisch zu verteilen und einseitige Verurteilungen zu meiden. So bringt die zuvor so ruppige und aggressive Lehrerin dem jungen Araber dann doch das Lesen bei und nimmt ihn am Schluß gar in ihre Familie auf, und so wandelt sich der egozentrische und cholerische Fabrikbesitzer zu einem zähen, solidarischen Kerl, der sich endlich seiner alkoholkranken Frau annimmt und mit ihr den Weg noch einmal macht. Daneben gibt’s dann noch ein paar lustige Geschichten vom ganzen Drumherum mit den herbergen und anderen schrägen Typen auf dem Weg, und es gibt vor allem spektakuläre, grandiose Landschaftsaufnahmen, die den Film allein zu einem optischen Hochgenuß machen. Selbst ein gottloser Kerl wie ich kann sich fast vorstellen, dass eine Wanderung durch solch fantastische Gegenden einen läuternden, reinigenden, erneuernden Einfluß haben kann. Dazu hat Serreau ein tolles Darstellerensemble gefunden, das sich ihrem speziellen Stil perfekt anpasst, so daß für mich unter dem Strich ein wirklich ganz toller Film dabei herausgekommen ist, viel Spaß mit viel Tiefgang, ein Erlebnis für’s Auge und alles andere als die biedere Durchschnittskost, als die man den Film am liebsten verkaufen würde. Hoffentlich sind es bis zum nächsten Serreau-Film nicht wieder fünfzehn Jahre! (17.9.)