Shooting Dogs (#) von Michael Caton-Jones. England, 2005. John Hurt, Hugh Dancy, Dominique Horwitz, Claire Hope-Ashitey, Nicola Walker, Louis Mahoney, Steve Toussaint, Susan Nalwoga, Victor Power

   Noch einer von diesen Afrikafilmen, nach denen man sich fast schämt, ein Mitglied der Rasse Mensch zu sein, wenigstens und auf jeden Fall aber seiner Identität als weißer Europäer. Mit unerklärlicher zweijähriger Verzögerung kommt dieses Werk ins Kino und nimmt sich dabei doch des selben Themas an wie 2004 der hoch geachtete „Hotel Ruanda“ von Terry George, nämlich des monströsen Genozids fanatischer ruandischer Hutumilizen an der Tutsi-Minderheit im Jahre 1994. Beide Filme, obgleich nicht direkt vom gleichen Standpunkt aus erzählt, rücken allerdings nicht das wahnwitzige Massaker, dem fast eine Million Menschen zum Opfer fielen, in den Mittelpunkt, sondern die in ihrem Wahnwitz mindestens vergleichbare Haltung der UN-Blauhelme, und zu diesem Zweck erzählen sie dann doch zwei ganz ähnliche Geschichten und erzielen damit eine ganz ähnliche Wirkung.

   In beiden Fällen sammelt sich eine große Gruppe von Tutsi-Flüchtlingen an einem ursprünglich von Europäern kontrollierten Ort -  im ersten Fall in einem Hotel, in „Shooting dogs“ in einer Schule, die vom katholischen Pater Christopher geleitet wird. Sein Assistent vor Ort, der junge Lehrer Joe, ist so etwas wie unser alter ego, ein typischer europäischer Frischling im Erstkontakt mit der fremden afrikanischen Welt, eifrig, bemüht, wohlmeinend und hemmungslos naiv – dass der Mann von dem traditionellen Konflikt der beiden Stämme in Ruanda so gar nichts gewusst haben will, kann man eigentlich nicht glauben –, und der Film ist in dieser Hinsicht schon sehr sehr konventionell angelegt, denn diese Art direkter, plakativer Identifikationsfigur gibt es allzu oft und sie zielt wirklich auf ein sehr breites, wenig belastbares Publikum. Wir können uns in jede Phase seines Erlebens perfekt hineinversetzen, in die erste Unruhe angesichts nächtlicher Schießereien, die Zuversicht, dass die Ereignisse schon nicht außer Kontrolle geraten würden, in das Vertrauen zur Blauhelmtruppe, dann in sein sprachloses Entsetzen angesichts des sich ständig steigernden grauenhaften Blutbads, in seine Entschlossenheit, gemeinsam mit seinem großen Vorbild Christopher auszuharren und bei den Afrikanern zu bleiben, ihnen zu helfen, und dann letztlich auch in seinen Wunsch, sein blankes Leben zu retten und dementsprechend in seinen Entschluß, den letzten UN-Konvoi als Fluchtmöglichkeit zu nutzen, wohl wissend, dass er ein Versprechen bricht und Menschen ohne seinen Trost zurücklässt. Pater Christopher spielt in dieser Konstellation den Heiligen -  ein erfahrener, lebensweiser Mann, der versucht, die Kraft des Glaubens auf die Todgeweihten zu übertragen, der zurückbleibt mit ihnen und sich schließlich opfert, um ein paar Kindern das Leben zu retten. Diesem von John Hurt großartig gespielten Heiligen, so wissen wir irdischen Geschöpfe gleich, werden wir nie folgen können, er schwebt zu weit über uns, und dennoch brauchen wir ihn hier sehr nötig, um in seinem Namen Vergebung und Absolution er erhalten, so wie er dem völlig verstörten Joe abschließend zuruft, dass er an seiner Stelle genauso handeln würde und ihn sehr gut verstehen könne. Die zweite und finale Absolution erhält Joe dann fünf Jahre später durch das ruandische Mädchen Maria, das dem Inferno durch Christophers Opfer entkommen war und nun in England auftaucht und Joe zu verstehen gibt, dass sie sein Verhalten letztlich nicht verurteilt, sondern im Namen der Opfer einen moralischen Appell an die Menschen insgesamt richtet, aus dem Erlebten endlich zu lernen.

   Dies sind Szenen, in denen ich den Film recht schwach und kommerziell orientiert finde, und auch was die Visualisierung des Genozids angeht, drückt sich Caton-Jones wie schon Terry George um eine angemessene Bildsprache, die den Kreis des potentiellen Publikums zwangsläufig einschränken würde. Solch ein Film müsste vielleicht doch mal richtig weh tun, uns mal so richtig in unsere wohlgenährten weißen Ärsche treten und wenigstens versuchen, uns eine Vorstellung von dem unglaublichen Inferno zu geben, das damals über Ruanda hereinbrach. Die Opferperspektive jedoch fehlt hier noch stärker als in „Hotel Ruanda“, denn die Europäer stehen dafür zu sehr im Mittelpunkt der Handlung. Ein weiteres gravierendes Versäumnis (und dann höre ich auch auf zu meckern!) liegt in die viel zu flachen und oberflächlichen Anlage des belgischen UN-Offiziers Delon, der schließlich die auf höherer Ebene getroffenen Entscheidungen vor Ort zu verkünden und zu vertreten hat. Die von Nick Nolte gespielte Figur in „Hotel Ruanda“ ist ziemlich vergleichbar, hatte aber in Gesprächen sehr viel mehr Raum, während der wie immer sehr gute Dominique Horwitz hier leider kaum eine Chance hat, ein mögliches moralisches Dilemma seiner Figur herauszuarbeiten, obwohl gerade sie, viel eher noch als Joe beispielsweise, Stoff für eine spannende und quälende Auseinandersetzung hergibt: Der Soldat, der stoisch jedweden Befehl von oben zu befolgen gewohnt ist, steht im Konflikt mit dem Menschen, der sehr wohl sieht, welche Tragödie sich hier vor seinen Augen anbahnt und welche Folgen sein Verhalten haben wird, und der am Ende dennoch nicht als Mensch sondern als Soldat handelt, nur warum, werde ich wohl nie verstehen.

 

   Wenn ich über diese deutlichen Konzessionen an den westlichen Mainstream hinwegsehe (und das muß ich in fast jedem Afrikadrama der letzten Jahre tun, nur „Der ewige Gärtner“ fällt aus dem Rahmen), so beeindruckt der Film dennoch durch seine sehr deutliche und unmißverständliche politische Aussage und die klagt die UN eines skandalösen und völlig beispiellosen Verbrechens gegen die Menschlichkeit an. Tagelang bewachen gut bewaffnete Soldaten die notdürftig befestiget Schule und sehen zu, wie sich draußen Hunderte von blutgierigen, mit Macheten, Knüppeln, Beilen und Äxten ausgerüstete Hutufanatiker zusammenrotten und nur darauf warten, losschlagen zu können. Tagelang kommen täglich neue furchtbare Nachrichten über Massaker im Land herein und niemand, der auch nur über einen annähernd intakten Verstand verfügt, hätte noch daran gezweifelt, dass hier ein Völkermord in jedem Sinne der Definition angebahnt wird, zumal die Hutu selbst per Radiosender zu etwas Derartigem aufrufen und aus ihren Absichten keinerlei Hehl machen. Die Blauhelme aber haben nur ein Mandat zur Friedensbewachung erhalten, das heißt, die dürfen nur dann reagieren, wenn sie selbst direkt angegriffen werden, was sich in der Praxis so auswirkt, daß sie dem mörderischen Treiben der Hutu aus sicherer Entfernung zuschauen und höchstens die Toten zählen. Niemals scheint auch nur in Erwägung gezogen zu werden, dass man aktiv und mit militärischer Gewalt eingreifen müsse, um hunderttausende von Menschenleben zu retten. Das ist deshalb nicht nötig, weil die Politiker in einem Akt beispielloser Interpretationskunst es schaffen, den Begriff des Genozids so zu deformieren, dass er auf die Situation in Ruanda nicht zutrifft, was bedeutet, dass die internationalen Truppen nicht eingreifen müssen. Das allein ist schon unfaßbar, ein Beispiel für westliche Bürokratie und Menschenverachtung, die mich sprachlos macht, aber es kommt noch viel schlimmer, nämlich ganz konkret in der Situation der Schule. Mehr als zweieinhalbtausend Menschen, Männer, Frauen und Kinder, haben Schutz gesucht und sich den UN-Soldaten anvertraut. Ohne sie, das weiß und sieht jeder, wären sie dem Mob draußen vor dem Zaun rettungslos und hilflos ausgeliefert. Zuerst kommen dann die Franzosen in einer Blitzaktion eingeflogen und evakuieren einzig und allein weiße Europäer, alles andere, unwertes Leben offenbar in ihren Augen, wird zurückgelassen. Und schließlich erhalten auch die belgischen Truppen den Befehl, sich aus der Schule zurückzuziehen, und Delon, der wie gesagt die Folgen dieses Rückzugs absolut klar vorhersehen kann, befolgt ihn und lässt sich selbst vom der flehentlichen Bitte eines Vaters, wenigstens die Kinder zu erschießen und ihnen damit einen schnellen, gnädigen Tod zu gewähren, nicht von seinem Weg abbringen. Ein Soldat, korrekt, gehorsam und von Berufs wegen blind für jede andere Dimension, und als dann die UN-LKW aus dem Lager rollen und die bis an die Zähne bewaffneten bestialischen Hutumilizen johlend und triumphierend gegen zweieinhalbtausend wehrlose Menschen vorrücken mit dem Vorsatz, jeden einzelnen in Stücke zu hacken, da tut der Film dann doch noch weh und erreicht eine Intensität, die schwer zu ertragen ist. Auf dieser Ebene hat Caton-Jones einiges geleistet und eine sehr starke Aussage formuliert, die er leider zu oft unterläuft durch oben angeführte Schwächen. Vermutlich könnte man die Ereignisse von damals in einem halbwegs konsumierbaren Film kaum adäquat darstellen, man könnte sich aber doch beispielsweise um eine weniger stereotype Figurenkonstellation bemühen und insgesamt auf humanem Gebiet etwas mehr Konsistenz und Glaubwürdigkeit zu erzielen. Insgesamt ein streckenweise sehr eindrucksvoller und schmerzhaft dramatischer Film, der aber doch noch besser hätte werden können. Déjà vu, gelt? (18.5.)