Shoppen von Ralf Westhoff. BRD, 2006. Sebastian Weber, Anna Böger, Felix Hellmann, Katharina Schubert, David Baalcke, Julia Koschitz, Martin Butzke, Kathrin von Steinburg, Matthias Bundschuh, Mediha Çetin, Thomas Limpinsel, Lisa Wagner, Oliver Bürgin, Julia Heinze, Stephan Zinner, Anja Klawun, Christian Pfeil, Tanja Schleiff, Wilm Roil
Irgendwie sind die Menschen doch toll – da galt das Singledasein jahrzehntelang fast schon als tabuisierter Zustand, als Schmach und Schande, die tunlichst zu verbergen war, und als Single hatte man es mehr als schwer in einer Gesellschaft, die fast schon penetrant offensichtlich auf glücklich lächelnde Paare fixiert war und in der jeder andersartige Lebensweise schon ein verdächtige Abweichen von der Norm war. Erst als Single konnte man nachfühlen, wie das wirklich war, und aus eigenem Erleben kann ich sagen, dass dies der ultimative Test für’s Selbstvertrauen war: Entweder man ging kaputt oder nachhaltig gestärkt aus dieser Prüfung hervor. Im aktuellen Zeitalter des Egokapitalismus aber haben sich die Vorzeichen plötzlich verdreht: Die zuvor staatstragende, vorbildliche Zweierbeziehung ist zu einem fragilen, fast willkürlichen Gebilde geworden, der Single ist auf einmal Kult und ihm wird auf zahllosen Singleparties und –events gehuldigt. Niemand muß sich mehr als Single verstecken oder rechtfertigen oder entschuldigen, im Gegenteil, man darf stolz auf seinen Singlestatus sein und vor allem sind Singles ein maßgeblicher Kommerzfaktor geworden, mit dem ordentlich kalkuliert und operiert wird.
Nichtsdestoweniger möchte der Single, so will es die Norm dann doch, nicht ewig Single bleiben, und da stehen ihm/ihr in dieser hübsch vernetzten Zeit zahlreiche virtuelle Foren zur Verfügung. Man kann sich auch auf sogenannte Speed Datings einlassen, und von einem solchen, seiner Vorbereitung und seinen Folgen, handelt dieser Film. In zwei Reihen sitzen sich neun Frauen und neun Männer gegenüber, zwischen ihnen der Spielleiter mit Stoppuhr und Trillerpfeife. Nach exakt fünf Minuten ertönt diese Pfeife dann, die Herren rücken einen Platz weiter, ein neuer Kontakt entsteht, und so haben sich am Schluß alle in jeder Konstellation kennen gelernt und können dann auf Zettel notieren, wen sie wiedersehen möchten. Stimmen zwei Wünsche überein, kommt es zu einem Treffen und man kann sehen, was sich daraus ergibt.
Die Einleitung ist hier recht knapp und so gehalten, dass man die einzeln vorgestellten Personen erst im Mittelteil besser zuordnen kann, aber das ist kein Problem. Die schönsten Momente entstehen natürlich beim Speed Dating selbst, wo achtzehn verschiedene Charaktere direkt aufeinanderprallen und wir Zuschauer zugleich erleichtert (dass wir selbst nicht in deren Haut stecken) und genussvoll mit ansehen, wie die einzelnen nun mit dieser forcierten Situation umgehen. Fünf Minuten können unter diesen Umständen endlos lang sein, wenn man sich nichts zu sagen hat, können aber auch zu kurz sein, um einen verläßlichen Eindruck zu bekommen. Die abschließenden Dates reflektieren das – manchmal kommen Paare zusammen, von denen man gedacht hätte, daß da die Chemie nie im Leben stimmt, manche raufen sich aber wider Erwarten doch zusammen und manchmal gibt’s natürlich auch haarsträubende Flops mit Slapstickkomik. Am Schluß finden sich von neun potentiellen paaren vielleicht zwei oder drei, doch das wäre ja schon eine beachtenswerte Quote.
Das große Plus des Films, der einfach, schnell und direkt inszeniert wurde, sind zum einen die glänzenden Darsteller, die man gottlob noch nicht in hunderten banaler TV-Sendungen gesehen hat, und die ebenso feinen Dialoge, die manchmal bewusst die Grenze zum Effekt, zur Karikatur überschreiten, immer aber extrem unterhaltsam, schlagfertig und witzig sind. Männer und Frauen, auch dies ein zusätzlicher Reiz dabei, werden den Film unterschiedlich beurteilen: Frauen sagen, dass die Männer hier schlecht wegkommen, und da haben sie nicht unrecht. Wir haben eine feine Bandbreite von Typen vor uns: Den peniblen, verklemmten Controller, den verkrampften, aggressiven Ökoheini, den bulligen T-Shirt-Mann aus Partenkirchen, die farblosen Muffel, den schmierigen Supermacho, der sich für ein Designerstück hält, den Vielredner, der aber fast nichts ernst meint, den gutmütig beleibten geschiedenen Koch, den netten Normalo, der ein bißchen viel klammert, und den Schönling, der die große Liebe sucht und sich an Klischeesprüche hält. Wir Männer allerdings, die wir uns in diesen Herren stückchenweise sofort wieder erkennen und dies natürlich nie zugeben werden, gucken vielmehr auf die Frauen und sehen, dass die auch vielfach einen Schlag schräg haben: Die Quasseltante, die neu in München ist, die Tochter aus reichem Hause ohne Freunde, die robuste Krankenschwester ohne Privatleben aber mit tief romantischer Ader, die offensive Sexhungrige, die die Kerle zwangsläufig überfordert, die etwas zu Coole und Selbstbewußte, die sich nicht recht aus der Reserve traut, die Hübsche, die sich aber nicht mal für ihr Hochzeitskleid entscheiden kann, die Aggressive, die alle Männer doch nur für Arschlöcher hält, die Verbitterte, die schon zuviel dieser Datings mitgemacht hat und alle Sprüche auswendig kennt, und die etwas Farblose und Nette, die sich von dem Männergequatsche aber nicht bluffen lässt.
Diese Typen werden mit schönem Gespür für Komik und Satire gemischt, wobei tiefergehende Momente durchaus vorkommen und der Humor die einzelnen Leute auch nie bloßstellt. Als Zuschauer gerät man nie in die Versuchung sich hier irgend jemandem überlegen zu fühlen und das ist natürlich ein entscheidender Verdienst des hervorragenden Drehbuchs und des Feingefühl des Regisseurs, der zu schrille Töne oder zu platte Pointen vermeidet und jedem hier ihre/seine Würde lässt. Deutsche „Komödien“ (das Wort muß ich einfach in Anführungszeichen setzen) sind eine Sache für sich und im allgemeinen gar nicht mein Ding, diese aber, haarscharf am wahren Leben und mitten unter uns angesiedelt, ist wirklich sehr schön und sehenswert. (9.5.)