Shut up and sing (#) von Barbara Kopple und Cecilia Peck. USA, 2006. The Dixie Chicks (Natalie Maines, Martie Maquire, Emily Robison)
10. März 2003: Die Dixie Chicks, die erfolgreichste Frauenband aller Zeiten in den USA, eröffnen ihre neue Tournee in Shepherd’s Bush in London. Gleichzeitig stehen die USA kurz vor dem Beginn des Irakkrieges und speziell in London sind die Demonstrationen gegen den militärischen Eingriff laut und massiv. Natalie Maines, die Leadsängerin, erklärt sich mit den Protestlern solidarisch und beendet ihr kurzes Statement mit der Feststellung, sie schäme sich, dass die Präsident der Vereinigten Staaten aus Texas stamme (so wie sie). Was eigentlich nur ein beiläufiger, spontaner und im Grunde eher absichtsloser Joke gewesen sein mag, entpuppt sich als Bumerang, der die Karriere der Band entscheidend beeinflussen sollte. Die Medien transportieren das Zitate in Windeseile weiter und es entwickelt sich eine regelrechte Hexenjagd, in der die drei Frauen, zuvor noch jedermanns Darling, auf jede mögliche Weise beleidigt, gebrandmarkt und boykottiert werden und zwar über mehrere Jahre, auch dann noch, als sich die öffentliche Meinung längst zum überwiegenden Teil gegen George Fucking Bush gewandt hatte. Die streitbare Dokumentarfilmerin Barbara Kopple hat zusammen mit Cecilia Peck die Band über drei Jahre begleitet, hat sie gefilmt auf Konzerten, bei Proben, bei Studioaufnahmen und auch im privaten Rahmen bis hin zu einer Zwillingsgeburt, hat die selbst gedrehten Sachen angereichert mit zusätzlichem TV-Material und so ein recht komplexes Bild erhalten mit starkem Fokus auf die Folgen dieser einen Aussage, mit der die Band offenbar für immer identifiziert werden wird. Drei Jahre nach dem Event kommen sie zurück nach Shepherd’s Bush, und natürlich spielt Natalie Maines auf das bewusste Ereignis an und natürlich wiederholt sie ihr Statement in dem Bewusstsein, dass es nun völlig anders aufgenommen werden wird als drei Jahre zuvor.
Ich bin zwar alles andere als ein Countryhörer (schon gar kein Fan!), und die Dixie Chicks waren mir bislang höchstens dem Namen nach bekannt, doch erstens haben die Damen sich etwas von ihren Countryroots gelöst und 2006 mit Rick Rubin ein ganz hörenswertes Popalbum aufgenommen, und zweitens mag ich Dokumentarfilme immer und ist dies natürlich ein ebenso spannendes wie unterhaltsames Exemplar der Gattung. Auf die zum Teil recht ausgedehnten familiären Szenen und die Geschichten vom Kinderkriegen und dem steinigen Weg dorthin hätte ich persönlich auch verzichten können, aber meinetwegen soll es zur Vervollständigung des Gesamtbilds und zur Charakterisierung der drei Musikerinnen dienen – obwohl bei einer Männerband wohl kaum davon die Rede gewesen wäre! -, doch immer wenn es wieder um Politik geht, in welchem konkreten Sinn auch immer, findet Kopple zu ihrer gewohnten Form und es ergeben sich äußerst vielsagende und auch groteske Einblicke in das Land USA, so wie sie auch bei Michael Moore zu finden sind. Die Reaktionen der von den Medien gezielt und völlig tendenziös gepushten Öffentlichkeit reichen von beleidigt über empört bis hin zu hysterisch und aggressiv, die Machos und Sexisten und Rassisten und Kommunistenfeinde und all die wahren Patrioten melden sich lautstark zu Wort, die Politiker dürfen mitmischen, die sogenannten Berichterstatter im TV sowieso, die relevanten Radiosender nehmen die Dixie Chicks aus dem Programm, die Verkäufe fallen ins Bodenlose und sofort greifen auch die Mechanismen des Marktes, soll heißen der Hauptsponsor (Lipton Tea!!!) macht sich Sorgen und Sony Music sowieso, kurz, die drei Girls kriegen von allen Seiten mächtig Druck. Natürlich nimmt man ihnen die pampige Attacke gegen den Präsidenten übel und unterstellt ihnen gleichzeitig, den Jungs draußen an der Front in den Rücken fallen zu wollen, doch vor allem verzeiht man nicht, dass ausgerechnet sie, die adretten, biederen, sauberen Vorzeigemädels der erzkonservativen Countryszene, plötzlich zu solch schändlichen Heimatverräterinnen werden konnten. Gut, dass sich nach einer Phase der Unsicherheit und Orientierung die drei Musikerinnen untereinander einig sind und zueinander stehen, und dass auch ihr Manager und das gesamte Umfeld fest auf ihrer Seite ist, denn nur so kann es ihnen gelingen, die massiven und vulgären Anfeindungen durchzustehen, weiter aufzutreten, auch wenn’s mal eine Todesdrohung gibt (wir sind in den USA, nicht zu vergessen!), und letztlich zu Maines Aussage zu stehe, wobei gerade unmittelbar danach nicht klar ist, ob alle drei das wirklich tun wollen oder ob sie sich nicht doch in aller Form öffentlich entschuldigen sollen. Aber gerade die Manipulation der Öffentlichkeit durch die Presse lässt sie immer entschlossener werden, und zudem spüren sie auch, dass ihre Karriere plötzlich eine ganz andere Dimension bekommen hat.
Kopple und Peck machen nicht den Fehler, die drei zur Märtyrerinnen der freien Meinungsäußerung stilisieren zu wollen, denn im Grunde sind sie politisch nicht sehr engagiert, und Maines Spruch entsprang ja auch nicht einer tiefen Überzeugung sondern eher einer Laune, und auch im weiteren versuchen die drei, ihre Konformität nicht aufs Spiel zu setzen und weiterhin ihre kommerzielle Ausrichtung zu bewahren, nur wollen sie sich andererseits auch nicht völlig verbiegen und unter Druck setzen lassen, und gerade hier findet dann doch ein beachtlicher Prozeß hin zu mehr Stärke und politischem Bewußtsein statt, und dem zollen die beiden Filmemacherinnen verdientermaßen ihren Respekt. Das Porträt der USA fällt erwartet grimmig und desperat aus – die Allmacht der Medien und des Marktes, die obszöne Verlogenheit der Politiker, die Beeinflussbarkeit der öffentlichen Meinung, die katastrophale Mischung aus Bigotterie, Chauvinismus, Patriotismus und Gewaltbereitschaft, kurz all das, was dieses Land schon immer so liebenswert gemacht hat, kommt auch hier zu voller Geltung. Es muß hier auch nichts kolportiert oder verzerrt werden, keine breite Polemik ist nötig, es reichen Bilder vom Tage und die passenden Zitate, und schon entlarvt sich eine Gesellschaft ganz von selbst, und selbst die, die zuvor ein integraler, identifikationsstiftender Teil dieser Gesellschaft waren (so wie eben die Dixies), verwandeln sich plötzlich zu Außenseitern. Eine hübsche politische Lektion, ein interessanter Film, und die Musik, naja, die kann ich auch noch gerade so ertragen. (4.9.)