Sanxia haoren (Still life) von Jia Zhang-Ke. China, 2006. Han San-ming, Zhao Tao, Wang Hong-wei, Li Zhu-bin, Xiang Hai-yu

   Der sogenannte Drei-Schluchten-Stausee an Jangtse-Fluß, ein alter Traum des Vorsitzenden Mao, wird, wie man weiß, nun in die Wirklichkeit umgesetzt und dass ohne jede Rücksicht auf die Folgen für Mensch und Umwelt. Zu gewaltig das Prestige, zu groß die Verlockung, das gigantischste Projekt, das jemals gebaut wurde, als nationale Großtat anpreisen zu dürfen. Daß der Eingriff in die Natur unkalkulierbare Folgen haben könnte und dass Millionen von Menschen einfach umgesiedelt werden müssen, ohne dass die strukturellen Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, hat die Autoritäten nicht interessiert, und „Still Life“ benutzt diesen Hintergrund für die Geschichte zweier Menschen auf der Suche nach ihren Partnern.

   Ein Bergarbeiter sucht die Frau, die er einst gekauft und die ihn dann mit der gemeinsamen Tochter verlassen hat. Nach langer Reise muß er feststellen, dass die Adresse, die sie ihm gab, nicht mehr existent ist, denn die Fluten des Stausees haben die Wohnstraße bereits erfasst. Unbeirrt sucht er weiter, verdient selbst ein wenig Geld als Abbruchunternehmer und lernt verschiedene Leute kennen, unter anderem Verwandte seiner Frau, die ihm eine neue Adresse sagen, doch ob er sie dort finden wird, bleibt offen.

   Eine Frau kommt in die Gegend auf der Suche nach ihrem Mann, den sie zwei Jahre nicht gesehen hat und der ebenfalls auf die eine oder andere Weise im Projekt beschäftigt ist. Sie will ihm sagen, dass sie einen anderen liebt und sich scheiden lassen möchte, und obwohl er selbst offenbar mit anderen Frauen Kontakt hat, gibt es eine heftige Szene. 

   Anders als häufig gesehen, berühren sich diese beiden Geschichten nicht, zumal sie sich in vertikal verschiedenen Schichten abspielen,  ganz verschiedene soziale Spektren abdecken, wodurch sie einander einerseits ergänzen, andererseits aber im Grunde das gleiche zeigen: Eine Welt, die buchstäblich im Versinken begriffen ist, entwurzelte Menschen, die in leblose Wohnghettos umziehen müssen oder die noch immer in Abbruchhäusern und Trümmern leben. Eine unwirkliche Landschaft, die zugleich zerstört wurde und neu geschaffen werden soll und in der Hightechprojekte wie eine Fata Morgana wirken. Der Bergarbeiter Han bewegt sich offensichtlich in weitaus repräsentativeren Kreisen, einfachen, armen Leuten, die irgendwie versuchen müssen, mit den Veränderungen Schritt zu halten und gleichzeitig von ihnen zu leben, und so stellen sich die meisten mit großen Hämmern in die Ruinen und klopfen Steine. Frau Guo hat zwar Kontakt zu etwas höheren Ebenen, den Planern und Leitern hoch über der Baustelle, doch herrschen auch dort Unruhe, Unsicherheit, Entwurzelung, die Leute haben vielfach ihre Arbeit verloren, schlagen sich in neuen Jobs durch und vor allem sind überall menschliche Bindungen zerbrochen als direkte Konsequenz des Staudamms.

 

   Der Film äußert sich kaum explizit politisch, doch indem er diese eindringliche, detaillierte Zustandsbeschreibung gibt, kommentiert er natürlich doch das Vorgehen der Regierung, die von der Vision eines toten Diktators getrieben über alle möglichen Bedenken und Argumente hinweggeht und nur daran interessiert ist, sich international im Glanz des monumentalen Vorhabens zu sonnen. Sehr deutlich wird festgestellt, dass Menschenleben, selbst in Quantitäten von Hunderttausenden bis Millionen, keine konkrete politische Bedeutung haben, zumal diese Menschen, so muß es jedenfalls scheinen, von der Regierung völlig allein gelassen werden. Außerdem lassen sich die Bilder von Leuten, die mit Hämmern ihre eigenen alten Wohnungen und Hochhäuser zertrümmern, sehr gut politisch deuten, ohne dass der Filmemacher auf besondere Polemik zurückgreifen muß. Formal gestaltet er das betont ruhig und nüchtern, einfach mit weitgehendem Verzicht auf dramaturgische Mittel, dafür mit äußerst intensiven, präzise kalkulierten Bildern in kargem, fahlen Licht, die die apokalyptischen Geisterstädte und die untergehende Landschaft eindrucksvoll begreifen helfen. Zwischendurch sorgen kurze Fantasmen mit zum Beispiel eine raketengleich aufsteigende Ruine oder eine futuristisch beleuchtete Brücke für Irritation und unterstreichen den Eindruck des Irrealen, denn in der Tat ist es wohl nicht nur für westliche Zuschauer schwer, sich in dieses Milieu hinzudenken, und Jia hilft durch seine sperrige, wortkarge Erzählweise auch nicht viel weiter. Beeindruckend ist neben der Bildgestaltung der konsequente Blick auf die menschliche Perspektive, der es unmöglich macht, daran vorbei zu schauen und vielleicht einfach nur ein paar tolle Panoramen zu genießen. Ganz anders als das häufig allzu eskapistische Werk vieler Kollegen gibt sich Jia ganz ungefällig und unbequem und zwingt uns, auf die Menschen zu schauen, was in China offenbar leider nicht so häufig geschieht. Die staatlichen Zensoren werden jedenfalls nicht erbaut gewesen sein. (5.11.)