Notes on a scandal (Tagebuch eines Skandals) von Richard Eyre. England, 2006. Judi Dench, Cate Blanchett, Bill Nighy, Andrew Simpson, Philip Davis

   Ich hatte schon befürchtet, Judi Dench bis ans Ende ihrer Tage entweder als 007s “M” oder in irgendwelchen Kostümrollen verschwendet zu sehen, denn bei aller Sympathie für das gute alte britische Literaturkino bin ich doch der Meinung, dass es den Schauspielern oft nur limitierte Möglichkeiten zur Ausschöpfung ihres Talents gibt – Leute wie eben Dench oder Maggie Smith oder leider oft auch Vanessa Redgrave können ein Lied davon singen. Deshalb war ich allein schon aus diesem Grund echt froh, die geadelte Dame mal wieder in einer zeitgenössischen Umgebung zu erleben, aber das allein macht natürlich noch keine Qualität aus. Dench und Blanchett haben hier großartige Rollen und sie spielen sie auch großartig – ein echter Schauspielerfilm, ein echter Frauenfilm auch, eine spannendes, dramatisches Psychoduell und dazu noch, wie man so schön sagt, auf den Punkt inszeniert.

   Barbara ist Lehrerin in den späten Fünfzigern und gleich fasziniert von ihrer neuen jungen Kollegin Sheba. Man kommt sich rasch näher, befreundet sich, Barbara wird von Sheba in die Familie zum Essen eingeladen undsoweiter, und die Dinge kommen erst ins Kippen, als Barbara beobachtet, wie Sheba Sex hat mit einem ihrer Schüler, dem fünfzehnjährigen Steve, und dieses Wissen ausnutzt, um sich in das Leben der jungen Frau einzuhaken und regelrecht Zuneigung von ihr zu erpressen. Als der Skandal dann doch ans Licht kommt, weil Barbara einem eifersüchtigen Kollegen die Geschichte erzählt, kommt auch Barbara halbwegs unter die Räder und muß die Schule verlassen. Sheba liest in ihrem Tagebuch, dass es früher schon einmal einen vergleichbaren Fall gegeben hat und dass Barbara so etwas offensichtlich häufiger macht. Und in der Tat: Am Schluß, nachdem Sheba zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist, bändelt Barbara bereits wieder mit einer anderen jungen Frau an.

   Richard Eyre gestaltet die schrittweise Eskalation einer anfänglich sehr alltäglichen Situation in knapp pointierten, dabei aber sehr intensiv ausgespielten Szenen. Für meinen Geschmack hätte das ganze am Schluß gar nicht so hochgekocht werden müssen – mit fiesem Presserummel und einer regelrechten öffentlichen Hexenjagd – denn allein die Art und Weise, wie sich Barbara Zugang zum Leben einer anderen Frau erschleicht, wird so sehenswert und faszinierend dargestellt, dass mir persönlich das vollkommen gereicht hätte. Natürlich gehört ein bisschen Ehe- und Familiendrama dazu, und vor allem die sexuelle Rivalität der beiden Frauen, so wie Barbara sie zumindest sieht, ist sehr wichtig, doch den ganzen großen Aufruhr hätte der Film gar nicht unbedingt nötig gehabt. Mit einer Mischung aus Faszination, Neid, Verachtung und Sehnsucht beobachtet die allein und sehr isoliert lebende ältere Frau die jüngere, die eher unkonventionell lebt, emotional spontan und durchaus nicht immer überlegt, und in alle das genaue Gegenteil von ihr, und wenn sie Sheba und Steve zusieht, versucht sie, die Essenz dieser Leidenschaft in sich aufzusaugen, um wenigstens auf diese Weise an Gefühlen teilzuhaben, die sie selbst vielleicht noch nie oder nur vor sehr langer Zeit durchlebt hat. Sheba ist eine Projektionsfläche, von der sie sich einerseits mit intellektuellem, asketischen Hochmut distanziert, die sie aber andererseits zum Leben braucht, ganz einfach weil sie selbst keines hat. Und als Sheba praktisch aufgebraucht ist und ins Gefängnis muß, greift sie sich ein neues Objekt, denn ohne ginge es nicht weiter für sie.

   Es genügt mir fast schon, Judi Dench zuzuschauen, denn ihre Darstellung ist eine ganz besondere Attraktion, ein abgründiges, streckenweise schon erschreckendes, mal bösartiges und mal mitleiderregendes Porträt, für das sie nicht mal sonderlich großen Aufwand betreiben muß und das dennoch maximal komplex und eindrucksvoll geworden ist. Cate Blanchett gibt einen nicht weniger eindrucksvollen, wenn auch quantitativ deutlich zurückgesetzten Gegenpart, den sie allerdings genauso eindringlich und intensiv gestaltet. Und auch der fabelhafte Bill Nighy als exzentrischer Ehegatte muß lobend erwähnt werden, auch wenn natürlich die beiden Frauen im Mittelpunkt stehen.

   Dies ist ein Kammerspiel, ein Psychodrama im besten Sinn des Wortes, britischer Film vom allerfeinsten und ein Fest für alle Freunde großer (und zwar wirklich großer und nicht auf groß getrimmter!) Schauspielkunst, die sich nicht unnötig produziert, sondern sich jederzeit in den Dienst des Projekts stellt. Hier spielen keine Stars sondern Könner, und das ist leider häufig ein bedeutender Unterschied. Jetzt hätte ich nur noch gern, dass Judi Dench so weitermacht und den Weg ins Perückengeschäft nicht so schnell wiederfindet. (2.3.)