The wind that shakes the barley (#) von Ken Loach. Irland/England/BRD, 2006. Cillian Murphy, Pádraic Delaney, Orla Fitzgerald, Liam Cunningham, Mary Riordan, Laurence Barry
An den Folgen des katastrophalen Anglo-Irish Treaty von 1921 arbeitet sich das Land, das bereits siebenhundert Jahre brutalsten Kolonialterrors durch die fucking Brits hatte erdulden müssen, bis heute ab, und es war dies ein verlustreicher, deprimierender, furchtbarer Vorgang, umso mehr, als er sich irgendwann zu verselbständigen begann und den jüngeren Generationen gewaltbereiter Fanatiker auf beiden Seiten nur noch als „the cause“ gilt, ihre einzige Existenzberechtigung und weit jenseits der Ursprünge, die der Konflikt einst hatte. Dieser sogenannte Friedensvertrag (der seiner Bezeichnung natürlich in jeder Zeile Hohn spricht) ist aus mehreren Gründen katastrophal: Erstens erlaubte er es den fucking Brits, trotz ihrer zahlreichen Verbrechen als Kolonialmacht in Irland ungeschoren davonzukommen – nicht nur das, er beließ Irland im Stadium einer Dominion, also praktisch noch immer zum Empire gehörend, was absolut nichts mit wirklicher Unabhängigkeit zu tun hatte. Zweitens verhöhnte er all jene, die für die irische Unabhängigkeit und gegen die britische Kolonialherrschaft gekämpft hatten – nicht nur das, er zwang all diese Leute auch noch, als Gipfel der Demütigung einen Treueid auf die britische Krone zu schwören. Drittens führte er die Teilung des Landes herbei und leistete damit dem verhängnisvollen Ungleichgewicht der religiösen Gruppen in den sechs Ulsterprovinzen mit all den schlimmen Folgen Vorschub. Und viertens eignete er sich, siehe oben, bestens als ewige Legitimation für fanatische Gruppierungen, und zwar nicht nur der IRA, sondern im gleichen Maße der royalistischen Krieger, die mit gleicher Brutalität und Rücksichtslosigkeit zu Werke gingen wie die Republikaner.
Ken Loach erzählt eine Geschichte aus der Anfangszeit dieses Prozesses, er erzählt vom aufflackernden bewaffneten Kampf der Iren gegen die Briten, die mit Willkür, Terror und brutaler Arroganz zu Werke gingen, er erzählt vom hastig zusammengeschusterten Treaty, an dem besonders die Brits interessiert waren, weil ihnen plötzlich angesichts der Entschlossenheit der Iren das Wasser stieg, und er erzählt vor allem von der verhängnisvollen Spaltung, die dieser Vertrag hervorrief, und die direkt zum blutigen irischen Bürgerkrieg 1921/22 führte. Er erzählt diese Geschichte aus der Sicht zweier Brüder, Damian und Teddy, die zunächst gemeinsam kämpfen und schließlich zu Feinden werden, weil sie sich im Anschluß an den Vertrag auf verschiedene Seiten schlagen. Damian bleibt den Prinzipien der IRA treu, Teddy wechselt auf die Seite derer, die sich nicht nur mit dem Treaty arrangieren, die sich sogar eine neue Uniform anziehen und plötzlich gegen ihre eigenen Landsleute vorgehen in dem Bestreben, für Recht und Ordnung zu sorgen. Damian gerät schließlich in Gefangenschaft, und sein eigener Bruder läßt den Erschießungsbefehl an ihm vollstrecken.
Eine grausam absurde Geschichte, so grausam und absurd wie die irische Geschichte über weite Teile selbst, und obwohl Ken Loach aus seiner persönlichen und emotionalen Parteilichkeit keinerlei Hehl macht und die Story an sich ein wenig simpel konstruiert zu sein scheint, gelingt ihm doch eine eindrucksvoll und bemerkenswert komplexe und klare Darstellung der Ereignisse und einer der bislang ganz wenigen Filme über Irland, die es wirklich perfekt schaffen, eine dezidiert politische mit einer menschlichen Aussage ausgewogen zu verbinden ohne in Klischees oder Kitsch zu verfallen. Vorwürfe wie der, der Film sei anti-britisch oder gar gewaltverherrlichend (die Katholiken natürlich, wer sonst...), sind nicht nur maßlos dumm, sie gehen zum einen vollkommen an den Intentionen Loachs und Paul Lavertys vorbei und zeugen zum anderen von völliger historischer Ahnungslosigkeit. Ein Film, der die anglo-irische Geschichte auch nur halbwegs neutral zeigt, muß schon per se anti-britisch sein, weil die Briten selbst durch ihr Verhalten sich endgültig und für alle Zeit diskreditiert haben, und nur durch grobe Verzerrung der Tatsachen könnte es gelingen, für ihre Verbrechen irgendeine Rechtfertigung zu finden. Außerdem gerät dieser Film meiner Meinung nach niemals in den Verdacht, er könne Gewalt als legitimes Mittel politischer Auseinandersetzungen rechtfertigen, denn die Gewalt, so wie sie hier dargestellt wird und egal von wem sie nun ausgeht, ist immer hässlich und destruktiv, sie bewirkt nur Leid, Trauer, Wut und eben noch mehr Gewalt. Nur weil den Iren in ihrer Situation scheinbar kein anderer Weg mehr bleibt, als der, zu den Waffen zu greifen, heißt Loach diesen Schritt noch lange nicht gut, und gerade indem er zuletzt die groteske Umkehrung der Situation sehr deutlich und ausführlich beschreibt, entlarvt er jegliche Gewalt als sinnlos und kontraproduktiv. Die gleichen Leute, die früher gegen die Unterdrücker kämpften, schießen nun aufeinander, und Schauplatz der Gewalt sind genau die gleichen Orte wie zuvor, nur dass diesmal die Brits nicht mal mehr nötig sind, die Iren besorgen den Wahnsinn ganz ohne ihre Hilfe.
Ganz abgesehen davon ist dies ein großer historischer ein leidenschaftlich politischer Film, wie ihn zur Zeit wohl niemand außer Ken Loach macht (leider, kann ich nur sagen!). Ein politischer Film auch, der ganz ohne die große Politik auskommt, ohne Dublin, Michael Collins und Winston Churchill, sondern der ganz bewusst und konsequent an der Basis bleibt, auf dem Land, in der kleinen Stadt und den entlegenen, verarmten, häufig noch vom Hunger gezeichneten Gebieten. Ohne großes Pathos und in einfacher, direkter Erzählweise entwirft er ein vielschichtiges und dennoch jederzeit durchsichtiges Porträt einer geschichtlichen Phase, der man (wenn man daran überhaupt interessiert ist) eigentlich viel größere Bedeutung zumessen müsste, eben weil sie von so tragender Wirkung war. Die Ausgangskonstellation ist relativ klar. Die britischen Unterdrücker gegen die irischen Freiheitskämpfer, die zwar militärisch hoffnungslos unterlegen sind, es jedoch mit einer Art Guerillastrategie und mit Hilfe breitgefächerter Unterstützung im ganzen Land schaffen, den Kolonialriesen ins Wanken zu bringen. Dann kommt der Vertrag und die alten Fronten verwischen völlig. Die Engländer ziehen sich zurück und können die Iren beruhigt sich selbst überlassen, denn wie sie richtig kalkuliert hatten, sollten sich die Iren an diesem Vertrag aufreiben. Loach lässt die beiden zerstrittenen Parteien in einem hitzigen Wortgefecht aufeinander los und benutzt diese Gelegenheit, um die beiden grundlegend unvereinbaren Standpunkte zu verdeutlichen: Die einen argumentieren, angesichts der massiven englischen Kriegsdrohung habe man keine anderen Möglichkeit gehabt und zudem sei der Vertrag zunächst mal eine Chance, endlich Frieden zu schaffen und zumindest ein gewisses Maß an Selbstbestimmung zu erhalten. Das Opfer all derer, die im Kampf gestorben waren, sei somit nicht umsonst. Die anderen halten dagegen, das Opfer dieser Toten sei gerade deswegen umsonst, weil alles, wofür sie gestorben waren, durch diesen Vertrag in den Schmutz gezogen wird. Irland sei faktisch nicht unabhängig, sei weiterhin der Krone unterstellt, sei Teil des Commonwealth, und indem man sie den Eid auf die Krone schwören lasse, erniedrige und verhöhne man die Iren nachgerade. Wir spüren sehr wohl, wo Loachs private Sympathien liegen, doch gibt er auch den Vertragsbefürwortern eine Chance, ihren Punkt zu machen, und weil wir den weiteren Verlauf der Geschichte kennen, wissen wir, auf welch perfide Weise die IRA ihre oft sinn- und ziellosen Attacken zu rechtfertigen versucht hat. Hier in dem Film geht es natürlich noch nicht soweit, hier sind die Leute noch ganz unmittelbar mit ihren Motiven verbunden, doch wird gerade durch das tragische Ende, die Erschießung Damians, ganz klar festgestellt, dass Gewalt nicht dazu beitragen wird, in Irland Frieden zu schaffen, im Gegenteil, an der Gewalt wird sich nichts als Gegengewalt entzünden, so wie Loach das hier eindrücklich vorführt.
Loach erzählt den Film trotz seiner gut zwei Stunden Laufzeit enorm dicht, konzentriert, fokussiert, spannend und trotz einer wie immer unauffälligen Dramaturgie sehr effektvoll auf einige entscheidende Situationen zugespitzt. Die unvermeidliche irische Folklore darf offenbar nicht ganz fehlen, ist vielleicht auch von der politischen Kultur dieses Landes nicht zu trennen, vor allem aber gibt es grandiose Bilder und grandiose Schauspieler, wie immer bei Loach keine großen Stars, weil ihn die Stars und die Großen allgemein sowieso nicht interessieren. Mein ewiger Mitstreiter und ich kamen beim Verlassen des Kinos zu der Erkenntnis, dass Loach eigentlich die eine sichere Bank unter den Filmemachern sei, derjenige, der seit vierzig Jahren ungebrochen herausragende Filme macht, Filme, die mir am Herzen liegen, inhaltlich wie auch in ihrer Aussage. Genau so isses, und nun hat er dem Kanon ein weiteres großartiges Werk hinzugefügt. Und in Abwandlung eines zeitlosen Satzes von Herrn Achternbusch kann man auch sagen: Wenn dieser Film den Brits gefiele, könnte sich der Loach ebenso gut gleich erschießen. (14.1.)