Tuya de hun shi (Tuyas Hochzeit) von von Quan’an Wang. China, 2006. Yu Nan, Bater, Zhaya, Senge, Baolier

   Tuya lebt mit ihrem Mann Bater und ihren zwei Kindern in der Inneren Mongolei. Sie haben ein einfaches Haus, einen Stromgenerator und eine Schafherde, von der sie leben. Seit sich Bater beim Versuch, einen eigenen Brunnen zu graben, schwer verletzt hat und arbeitsunfähig geworden ist, muß Tuya selbst für den Unterhalt der Familie sorgen. Eines Tages bricht sie vor Erschöpfung zusammen und es ist klar, dass sie einen neuen Mann braucht. Bater und sie lassen sich in der Stadt scheiden und sie erwartet die Anträge der Freier, doch gibt es ein Problem, denn sie besteht darauf, dass Bater auch weiterhin bei ihr und den Kindern wohnt und weiterhin von ihr und ihrem neuen Mann versorgt wird. Keiner der Kandidaten will auf diese Bedingung ernsthaft eingehen, nur der windige Senge, ein Nachbar aus der Gegend, der ständig Krach mit seiner Frau hat und kurz vor der Scheidung steht, beteuert, er würde sich auch um Bater kümmern. Und schließlich willigt Tuya in die Hochzeit ein, doch Glück sieht anders aus.

 

   Mit Filmen aus fernen Landen habe ich in den letzten Jahren nicht immer Glück gehabt, leider, weswegen ich manchen denn auch aus dem Weg gegangen bin. Diesmal jedoch habe ich keinerlei Anlaß, meine Entscheidung zu bereuen, denn dies ist ein wirklich äußerst schöner und auch berührender Film, ein echter Frauenfilm und zugleich so etwas wie ein ethnologisches Dokument, der uns eine Lebensweise nahe bringt, die für uns vollkommen fremd und andersartig ist. Zwar leben Tuya und die anderen nicht mehr als Nomaden, sondern sind weitgehend sesshaft geworden, und auch sogenannte zivilisatorische Errungenschaften wie Autos oder elektrischer Strom haben Einzug in die mongolische Steppe gehalten, doch das existentielle Grundprinzip scheint das gleiche geblieben zu sein: Im Mittelpunkt von Tuyas Handeln und Denken steht allein das Überleben der Familie, dem alles andere total untergeordnet ist. Dinge wie eigene Bedürfnisse oder Gefühle oder Wünsche, aus denen wir in Europa längst einen Kult gemacht haben, spielen nicht die geringste Rolle in einer Welt, die von Knappheit, Mangel und den gewaltigen Einflüssen der Natur bestimmt wird. Die Entscheidung, einen neuen Mann zu suchen und die Ehe mit Bater zu beenden, hat demnach keinen emotionalen sondern ausschließlich einen zweckmäßigen Hintergrund, und entsprechend fallen auch die „Bewerbungsgespräche“ mit den Anwärtern aus. Gerade hier und in Tuyas Szenen mit Senge mischen sich häufig komische und auch zärtliche Töne in die im Grunde recht ernste Geschichte, was einen besonders schönen Effekt hat. Die eindrucksvollen Bilder aus der Steppe zeigen ein Leben, das vor allem extrem hart und reduziert ist und wenig Romantisches an sich hat, und in einigen sehr pointierten Momenten öffnet der Regisseur auch den privaten Horizont und zeigt eine Gesellschaft, in der sich traditionelle und moderne Lebensformen oft auf ungute Weise vermischen – ungut deshalb, weil sie nicht zusammen passen. Baolier, einer von Tuyas Freiern, stellt sich vor als einer, der mit Öl sein Geld gemacht hat und gibt mit seinem Mercedes an, doch im Umgang mit der Frau scheint er zu denken, sein Wohlstand gebe ihm das recht, nach Belieben über sie zu verfügen. Aus Frust über die ganze Situation und seine eigene Hilflosigkeit verübt Bater einen Selbstmordversuch und kommt ins Krankenhaus, wo er jedoch nicht weiter behandelt wird, weil er kein Geld bezahlen kann. Immerhin wird die Rechnung dann von Baolier beglichen, der offensichtlich ein schlechtes gewissen gegenüber Tuya hat. Auch bei den weiteren Versuchen, eine Ehe für Tuya zu arrangieren, spielen materielle Dinge eine starke Rolle, und einer wie Senge ist ein besonders gutes Beispiel für Orientierungslosigkeit, denn ständig hat er irgendwelche wirren Pläne von großen Geschäften im Kopf, Phantasien von Reichtum und Erfolg und der Blick für die Realität kommt ihm dabei ein wenig abhanden. Andererseits gibt es auch Momente, in denen der Zusammenhalt der alten Strukturen wieder zum Vorschein kommt und sich die Menschen gegenseitig in Notzeiten selbstverständlich helfen. Nicht nur die Familie hält zusammen, sondern es gibt einen größeren Verbund der alten Steppenbewohner, die sich alle kennen und füreinander einstehen. Tuya bekommt Probleme, weil sie als Frau ein Rolle auszufüllen versucht, die gewöhnlich hier ein Mann einnimmt, und weil die Männer ihrerseits natürlich nicht flexibel genug sind, um sie in dieser Rolle zu akzeptieren. Wangs Film besticht wie schon gesagt neben allem anderen auch als Frauenfilm, der auf sehr beeindruckende Weise zeigt, welche Belastungen und welche Verantwortung die junge Tuya tagtäglich schultern muß, wie sie buchstäblich an allen Fronten zu kämpfen hat: Gegen Wind und Wetter mit Sturm und Kälte, für ihre Schafherde, für das Auskommen der Familie, für den invaliden, halb lebensmüden Mann, für ihre Kinder, denen sie eigentlich eine bessere Existenz ermöglichen möchte, und häufig hat man den Eindruck, sie sei weit und breit die einzige, die so etwas wie Vernunft und Verantwortungsbewußtsein bewahrt hat. Daß sie dann darüber auch mal die Fassung verliert oder ganz einfach nicht mehr weiter kann, versteht jeder und wird im Film in starken Bildern festgehalten. Die Bilder sind natürlich sowieso toll und auch die Schauspieler, zumeist mongolische Laien, die mehr oder weniger sich selbst spielen, und gottlob hat das diesmal nicht diesen niedlichen, furchtbar gefälligen Kulttouch, der sich in letzter Zeit an der Kinokasse so prima vermarkten ließ (von wegen weinenden Kamelen oder gelben Hunden oder so). Hier vermischen sich nüchternes Betrachten, zarte Poesie, verschmitzter Humor und eine menschliche Geschichte auf überzeugende Weise, und ich habe endlich mal wieder Impressionen aus fernen Ländern so richtig genießen können. (2.9.)