Yella von Christian Petzold. BRD, 2007. Nina Hoss, Devid Striesow, Hinnerk Schönemann, Burghart Klaußner, Barbara Auer, Christian Redl, Michael Wittenborn, Wanja Mues

   Was man immer so beim Rausgehen aus dem Kinosaal aufschnappt: „Kann mir jetzt mal bitte einer den Film erklären?“ sagt einer zur anderen, und ich denke noch, das ist garantiert eine Frage, mit der man bei Filmen wie diesem nicht sehr weit kommt. Dies ist kein Film, der erklärt und mit den Mitteln der Logik durchdrungen und analysiert, dies ist ein Film, der mit den Sinnen erlebt werden will, und wer sich darauf einlässt, hat einen Kinoabend der besonderen Kategorie vor sich.

   Ein Auto rast von einer Brücke in die Elbe bei Wittenberge. Drin sitzen Yella und Ben, ihr getrennt lebender, ruinierter, frustrierter Mann, der das Auto absichtlich in den Abgrund steuert. Die beiden kriechen ans Ufer und die Geschichte geht weiter. Yella tritt einen Job in Hannover an, wird auch dort von Ben verfolgt, landet dann aber bei einem anderen Mann, Philip, der mit getürkten Kreditverhandlungen eine Menge Geld macht und davon träumt, in Cork eine Firma für Bohrer zu übernehmen. Die beiden bilden ein gutes Team und verlieben sich auch, doch bei einem Deal in Dessau gerät die Sache aus dem Ruder, weil sich ein Mann, den Yella besonders perfide unter Druck gesetzt und erpresst hat, in der Elbe ertränkt. Dann ist plötzlich alles vorbei, und die tote Yella und ihr Mann werden aus dem Fluß bei Wittenberge geborgen.

   Phantasie einer Ertrinkenden? Todesvision einer Sterbenden? Alles nur ein Märchen, alles nur ein Traum, egal, der dritte Teil der Gespenster-Trilogie ist vielleicht der beste, viel stärker auf jeden Fall als der etwas zu entrückte und tranige „Gespenster“, und manchmal sogar noch eindrucksvoller als der ebenfalls großartige „Die innere Sicherheit“. Der Begriff der „Gespenster“ ist gerade hier auf besonders reizvolle Weise vieldeutig und lädt zu fröhlichem Interpretieren ein. Yella und Ben sind zunächst mal Gespenster, wenn man es genau nimmt, Hauptfiguren in einer erträumten, nie passierten Geschichte. Doch selbst wenn diese Geschichte real wäre, könnte man die Protagonisten als Gespenster bezeichnen, denn sie bewegen sich wie in Trance in einer Art Halbwelt, einem Paralleluniversum zwischen anonymen Hotels, Angeberaudis und kalten Büroräumen, in denen ihre streng ritualisierten Verhandlungen stattfinden. Sie haben sich ihre eigenen Gesetze erschaffen, ihre eigene Körper- und Zeichensprache erfunden und letztlich ein ganz eigenes Vokabular entwickelt, das nicht Eingeweihte strikt ausschließt und dazu führt, dass ihre Welt noch exklusiver, noch hermetischer, noch klaustrophobischer ist. Petzold erzählt viele mögliche Geschichten – die Geschichte einer Frau, die sich mit allen Mitteln befreien will, eine vorsichtige Liebesgeschichte mit viel Anlauf, und eine Geschichte aus unserem modernen Kapitalismus, der alle und jedes zum Sklaven gemacht und alle und jede unter das Joch des Euros gezwungen hat. Yellas gemeinsame Szenen mit Philip und ihren Verhandlungspartnern sind bestechend realistisch, zugleich aber auch beängstigend, von böser, satirischer Komik und bitterer Wahrheit. Diese Männer (zumeist sind es ja doch Männer) in ihren schwarzen oder anders dunklen Anzügen und ihren Angeberaudis leben wie Gespenster in der Republik und beherrschen sie doch zugleich auf eine sehr beunruhigende Weise. Ihre Existenz wird bestimmt von Codes für Verhalten, Sprache, Gestik und Kleidung, und Philip ist ein perfektes Produkt dieser Gattung. Zunächst scheint er Yella lediglich unter dem Kosten-Nutzen-Faktor zu betrachten, später dann lässt er zu, dass sie sich ihm annähert und kommt gleichfalls auf sie zu. Doch ist relativ klar, dass er niemals eine geschäftliche Entscheidung einem privaten Interessen unterordnen würde, während sie in ihrer Ausrichtung letztlich doch nicht so konsequent zu sein scheint, denn immerhin treibt sie ihr schlechtes Gewissen, den Mann, den sie erpressen will, zu besuchen. Bis dahin aber bilden sie eine perfekte Interessengemeinschaft, und für sie scheint gerade darin die Faszination zu liegen, dass er sein Ziel mit aller Entschlossenheit und vor allem mit Erfolg anpeilt, was ihn von dem gescheiterten Ben unterscheidet.

   Petzold lädt uns nicht dazu ein, über die Personen zu urteilen, er und wir als Zuschauer verharren in einer Art Halbdistanz, die den klaren Blick bewahrt und andererseits dafür sorgt, dass wir dennoch emotional nicht unbeteiligt bleiben. Das liegt wiederum daran, dass Petzold sein eher abstraktes und vielleicht auch etwas kopflastiges Konzept künstlerisch großartig umgesetzt hat. Die dunklen, klaren, melancholischen Bilder entwickeln einen unwiderstehlichen Sog, ebenso wie die knappe, vermeintlich geradlinige Erzählweise und natürlich die Leistung der durchweg brillanten Darsteller, aus denen Striesow und Hoss naturgemäß herausragen. Striesow besticht einmal mehr durch seinen unauffälligen, höchst eindringlichen und ungekünstelten Stil, während Hoss’ schönes, dominantes Gesicht eine wunderbare Projektionsfläche für unsere Deutungsversuche ist, denn mal erscheint es rätselhaft und undurchdringlich, mal reichen kleinste Veränderungen, um sie doch menschlich und zugänglich erscheinen zu lassen. Der Film hat wenig mit dem Milieukino zu tun, das zur Zeit gern in diesem Lande gepflegt wird und natürlich gar nichts mit der unverbindlichem Kommerzware, die sowieso zeitlos ist. Petzold hat einen völlig eigenen Stil und völlig eigene Themen, und nach der leichten Enttäuschung von „Gespenster“, kann ich diesmal wieder sagen, dass er einen außergewöhnlichen und herausragenden Film gemacht hat, einen der besten dieses bisherigen Jahres. (25.9.)