1. Mai von Sven Taddicken, Jacob Ziemnicki, Carsten Ludwig & Jan-Christoph Glaser. BRD, 2007. Cemal Subaşı, Oktay Özdemir, Peter Kurth, Benjamin Höppner, Torsten Michaelis, Jaocb Matschenz, Ludwig Trepte, Hannah Herzsprung, Leonie Brandis, Randy Herbst

   Drei Filmteams, drei nur locker verwobene Stories und doch ein Film, der, so war man sich in der Diskussion mit Sven Taddicken nach der Vorstellung einig, bemerkenswert homogen und geschlossen wirkt. Drei Stories vom 1. Mai in Berlin, seit Ende der Achtziger schon berühmt-berüchtigt und mit traurigem Kultstatus behaftet, auf den die Hamburger Chaoten offensichtlich so neidisch waren, dass sie dieses Jahr entschlossen schienen, in ernsthafte Konkurrenz zu ihren Berliner Artgenossen zu treten – und siehe da: Randale und sinnlose Verwüstung und Gewalt sind in jeder beliebigen Stadt reproduzierbar, eine wahrhaft profunde und sinnhafte Erkenntnis.

   Episode „Yavuz“: Der kleine Türke will unbedingt mittun bei den Krawallen, er ist heiß auf Action und Gewalt, und nach einer desorientierten Odyssee durch das turbulente Viertel landet er bei dem alten 68er Harry, einem Barrikadenbauer vom alten Schrot und Korn, und verletzt ihn schwer. Diese Konfrontation mit der realen Gewalt erschüttert ihn dann doch ziemlich und er wird wieder zum kleinen Jungen, der dem Erlebten nicht so recht gewachsen ist und den verletzten Harry im Krankenhaus sucht.

   Episode Uwe: Der Polizist Uwe muss unmittelbar vor seinem Einsatz im Berliner Zentrum erleben, wie seine Frau ihn betrügt und ihn obendrein dafür verachtet, dass er nicht richtig um sie kämpft. Sein 1. Mai ist gekennzeichnet von schmerzhaften Unfällen und grotesken Reinfällen, wie zum Beispiel einem Besuch im Puff, der nicht ganz den erwünschten Effekt zeitigt. Sein Kollege und Kumpel versucht zwar immer, den harten Kerl in ihm anzuspornen, doch schließlich findet sich auch Uwe nur ziemlich blessiert und total frustriert im Hospital wieder.

   Episode „Der Ausflug“: Jacob und Pelle reisen extra aus Minden in die Hauptstadt, um mal richtig einen drauf zu machen. Aber so richtig dringen die beiden nicht zum Kern des Events vor, sondern lassen sich in allerhand merkwürdige Abenteuer zwischen Kunst und Drogen verstricken. Jacob hat eine Pistole dabei, die angeblich nicht mehr funktioniert, doch Pelle entdeckt zu seinem Schrecken, dass sie es sehr wohl tut, und noch später sieht er auf Jacobs Handy einen Videofilm, der zeigt, wie der Freund seine Großeltern erschießt. Jacob ist völlig außer Rand und Band, sucht Extremsituationen und Gefahr und kriegt beides, als er von einer Türkengang verdroschen wird, nachdem er sie bewusst provoziert hatte, und so endet auch dieser Weg im Urban-Krankenhaus zu Kreuzberg, wo wir am Ende alle Protagonisten wiederfinden.

 

   Der Film orientiert sich am gängigen aktuellen Berlinbild, das natürlich ebenso gut ein Klischee ist wie jedes andere: Schnell, laut, voller Gegensätze und Eindrücke und in der Grundstimmung ziemlich ernst und auch ein wenig gesellschaftskritisch. Die Krawalltouristen, die die Hauptstadt alle Jahre wieder heimsuchen und wirklich einzig und allein nur auf Bambule aus sind, die Sprösslinge einer Machokultur, die ihren großen Brüdern nacheifern wollen, die „Ordnungshüter“, die zwar offiziell deeskalieren und stabilisieren sollen, die aber privat und für sich auch nicht gerade stabil oder ausgeglichen sind. Dazwischen lokale Freaks und Szenetypen, Nutten, Punks, Türken, Spontis und Altis und was weiß ich, kurz, der ganze bunte Haufen, den man gewöhnlich mit Berlin assoziiert, möglichst Multikulti und kontrastreich natürlich, doch im Kern nicht wirklich friedlich oder sicher. Ich persönlich bin alles andere als ein Anhänger des neuen Berlinkults, obgleich ich die Stadt auch recht faszinierend finde, und schon allein deshalb hätte ich mich kaum über irgendwelche Lokalklischees in dem Film geärgert. Stattdessen hat mir das Projekt außerordentlich gut gefallen, weil die Handkamerabilder voller Intensität und Unmittelbarkeit sind (wie Taddicken berichtet, hat man tatsächlich mitten in den Maiumzügen gedreht), weil die Darsteller ihre Sache hervorragend machen, und weil bei alledem ein sehr eindrucksvolles Stimmungs- und Stadtbild entsteht, und egal ob hier nun vorwiegend Altbekanntes wiedergekäut wird oder nicht (wie einige Kritiker den Filmemachern vorwerfen), ist dies doch ein spannender und sehr aufschlussreicher Gegenwartsfilm über Gewaltbereitschaft, aufgeheizte Atmosphäre, unkontrollierte Emotionen und böser Missverständnisse, denn bei allem machen die drei Episoden deutlich, dass der Wille zur Radau und Zerstörung allenfalls bei einer Minderheit der Einzelnen den Ausschlag geben, während viele Gruppierungen tatsächlich noch aus politischen Motiven marschieren, und seien sie noch so abstrus oder überholt. Adrenalinjunkies wie Jacob und Yavuz kommen entweder unter die Räder oder werden schlimm von der Realität eingeholt, und auch die Herren von der Polizei, die auf ihre Art an der Gaudi partizipieren wollen, machen manch ungeplante Erfahrung. Das ist manchmal, vor allem in der Uwe-Episode, von grotesk-tragischem Witz, oft aber auch ziemlich heftig und dramatisch, doch bleibt alles in allem eine spannende Balance erhalten, die den Film treibt und prägt. Einmal mehr tolles deutsches Gegenwartskino, davon bitte mehr! (16.5.)