Dr. Alemán von Tom Schreiber. BRD, 2007. August Diehl, Marleyda Soto, Victor Villegas, David Steven Bravo, Hernán Méndez, Andrés Parra

   Mark ist Medizinstudent, angehender Arzt und möchte ein Jahr als Auslandspraktikum im kolumbianischen Cali absolvieren. Er landet in einem Hospital, das ihn gleich mit einem Teil kolumbianischer Realität konfrontiert – täglich landen massenhaft Opfer von Gewalt an, Opfer von Bandenterror,  Drogenkriminalität, dem ganz normalen Alltag in der Zweieinhalbmillionenstadt, dem wiederum der nassforsch auftretende Frankfurter von Anfang an nicht gewachsen ist. Er treibt sich mit Vorliebe in einem der schlimmsten Problemviertel herum, lernt dort Wanda und eine Gang von Jungs kennen und glaubt, mit ihr eine ganz normale Freundschaft führen zu können. Als der lokale Bandenboss Kontakt zu ihm aufnimmt, lässt er sich naiv auf ein tödliches Spiel ein, das ihn letztlich so weit treibt, selbst von der Schusswaffe Gebrauch machen zu müssen. Wanda kann er damit allerdings nicht retten, gerade nur sein eigenes Leben.

   Culture Clash ist immer ein ergiebiges Thema, sei es für Komödien, sei es für Dramen. Fast unweigerlich schwingen ein paar Stereotypen mit, das gehört zum Spiel, im besten Fall aber entsteht daraus eine spannende Geschichte in Zeiten scheinbar problemloser Grenzüberschreitungen. So wie hier: Ein Gringo in Südamerika, nassforscher, abenteuerlustiger Typ aus gutem Hause, der nicht den Hauch einer Ahnung hat, in welche Welt er da hineingerät und nach welchen Regeln die funktioniert. Von Anfang an ist Mark aber nicht nur das Opfer, das den fremden, gewaltsamen Verhältnissen schutzlos ausgeliefert ist, sondern er ist auch leichtsinnig und überheblich, wenn er glaubt, die Warnungen der Einheimischen in den Wind schlagen zu können, weil er einfach davon ausgeht, dass ihm nichts passieren könne. Dass seine Aktionen auch Konsequenzen für andere Menschen haben könnten, kommt ihm erst zu spät zu Bewusstsein, und in dieser Situation, mit der furchtbaren Einsicht konfrontiert, dass er womöglich zwei Menschenleben auf dem Gewissen hat, greift auch er nun zu dem Mittel, das in diesen Kreisen die allgemein übliche form der Konfliktbewältigung darstellt, er greift zur Waffe und schießt den Bandenboss nieder, der ihn zuvor für seine Zwecke eingespannt hat. Er versteht nicht, dass Wanda nicht einfach so aus ihrem Viertel aussteigen kann, er sieht nicht, dass die Jungs aus der Gang ihn unter beträchtlichem Risiko beschützen und er versteht vor allem nicht, dass er sich zwischen den beiden verfeindeten Seiten entscheiden muss und nicht folgenlos hin- und herpendeln kann. Er versteht nichts von Moralvorstellungen und dem Ehrenkodex der streng katholischen Leute (weshalb er schließlich von seiner Gastfamilie rausgeworfen wird), er hantiert europäisch nonchalant mit Koks, bändelt mit allen möglichen Frauen an und gerät mit seinem Chef aneinander, weil er einen verwundeten Verbrecher nicht behandeln will, der Chef seinerseits ihm aber klarmacht, dass der Hippokratische Eid nicht nur ein Spaß ist. Gerade dieser Chefarzt fordert ihn immer wieder heraus, provoziert ihn gern mit Beleidigungen, will ihn aber eigentlich nur dazu bringen, sein deutsch betoniertes Weltbild zu hinterfragen und sich ohne Hochmut und Vorurteil auf das einzulassen, was ihm hier begegnet. Aus Trotz gegen das scheinbar liederlich luxuriöse Leben der Krankenhausärzte zieht es Mark ins Ghetto, doch diese Haltung ist nicht naiv sondern auch fatal, weil er den Verhältnissen dort erst recht nicht gewachsen ist und im Gegenteil noch viel mehr Schaden anrichtet. Sein politischer Eifer wird sehr rasch von der ernüchternden Realität aufgesogen, und gerade als Arzt wird er täglich vor die Gewissensfrage gestellt, ob er bereit ist, auch die übelsten Typen wieder gesund zu machen, selbst auf die Gefahr hin, dass die danach wieder ans Morden und Plündern gehen. Einfache Lösungen gibt es aber nicht – entweder man lässt sich auf die Regeln ein und akzeptiert sie, versucht vielleicht, innerhalb des Systems einen Rest Integrität zu bewahren, oder aber man bleibt draußen vor und mischt sich nicht ein. Für den verwöhnten, eher theoretisch denn praktisch gebildeten Europäer erweist sich die letzte Option als die machbare, was nicht gerade eine ermutigende Bilanz der Story ist, wohl aber eine realistische.

 

   August Diehl mit seiner eindrucksvollen Intensität ist der richtige Darsteller für die Rolle und er füllt sie bravourös aus, gleichwertig begleitet von kolumbianischen Schauspielern, die ein herausragendes Ensemble bilden. Die Impressionen aus Cali sind faszinierend und tragen maßgeblich dazu bei, dass dies ein ebenso spannender wie realistisch und authentisch wirkender Film geworden ist. Die Grundkonstellation ist wie gesagt ein wenig gestellt, was aber unvermeidlich ist und in diesem Fall auch nicht stört, dafür entwickeln sich viele interessante und vielschichtige Beziehungen und Situationen, in denen das Thema variiert und von unterschiedlichen Seiten beleuchtet wird. Übergestülpte Urteile und fertige Rezepte gibt es gottseidank nicht – der Gipfel grimmiger Ironie ist zum Schluß erreicht, wenn der Polizist Mark seinen Pass zurückgibt mit jenem nur angedeuteten aber wunderbar vielsagenden Achselzucken, das so ungefähr bedeuten soll: „Mach dir keine Gedanken, Gringo, du hast nur einen Mistkerl mehr erschossen, das kommt bei uns schon mal vor.“ Eine völlige Umkehrung aller Wertevorstellungen des braven Deutschen und im Endeffekt mindestens genauso schlimm wie die eigentliche Tat. Aber wie Mark selbst schon sagt, was soll man erwarten, wenn man aus einem Land kommt, in dem es sogar verboten ist, am Sonntag den Rasen zu mähen? (19.8.)