True North (#) von Steve Hudson. England/Irland/BRD, 2006. Peter Mullan, Martin Compston, Gary Lewis, Angel Li, Steven Robertson, Hark Bohm

   Ein schottisches Fischerboot legt in Ostende/Belgien an. Die Stimmung an Bord ist mau – mit Ausnahme des Skippers, einem Kapitän von altem Schrot und Korn, haben alle erkannt, dass die Zeiten vorbei sind, da man allein mit Fischfang überleben konnte. Der umtriebige Riley lockt Sean, den Sohn des Skippers, mit der Aussicht auf einträgliche Zusatzgeschäfte, und einigem Hin und Her geht Sean drauf ein. Die zu schmuggelnde Ware sind nun aber keine Zigaretten oder Alkohol oder sonstwas, sondern zwanzig chinesische Illegale, die gegen Vorkasse auf dem Kutter versteckt nach England gebracht werden sollen. Was anfangs wie eine moralisch heikle, aber im Grunde gefahrlose Operation ausschaut, entpuppt sich auf See und im Sturm, als Drama mit fatalem Ausgang, und am Schluss sind der Skipper und neunzehn Chinesen tot, nur ein junges Mädchen kommt davon und wird mit Rileys Anteil an dem Geld in Schottland neu anfangen.

   Ein raues, sehr effektvoll inszeniertes Drama aus der Schönen Neuen Welt (und das ist ganz buchstäblich zu verstehen). Die alten Berufe und Handwerke sind weitgehend eliminiert worden vom Neuen Markt oder befinden sich in der Hand der Banken, und an die Stelle tradierter Strukturen ist die globale Freiheit getreten, eine Freiheit, die sich allerdings allein auf kommerzielle Aspekte beschränkt und darauf, den Menschen endgültig zur Handelsware zu degradieren. In dieser Welt teilt sich die Menschheit wie folgt auf: Die Drahtzieher und Hintermänner (sprich die Profiteure), bei Bedarf die Endabnehmer (begüterte Einwohner begüterter Staaten), die Ausführenden (also die, die sich für ein Handgeld die Hände schmutzig machen), und schließlich die Ware (Flüchtlinge aller couleur, zukünftige Prostituierte, Organspender, Kinder etc.). Freiheit bedeutet also, dass es gegen Machenschaften dieser Art, die die Würde des Menschen mit (fast) beispielloser Verachtung in den Dreck treten, keine wirksamen Maßnahmen gibt und dass alles machbar scheint, weil Kommunikation und Vernetzung unendliche Möglichkeiten bieten.

   Steve Hudson präsentiert uns keine diabolischen Unmenschen, sondern nur ein paar eher schlicht gestrickte Schotten, die an dieser Schönen Neuen Welt partizipieren wollen, denen der Deal aber bald über den Kopf wächst. Sean klammert sich mit verzweifelter Verbissenheit an den Plan, und obwohl er eigentlich absolut kein übler Kerl ist, versucht er das Leid der Chinesen zu ignorieren, weil er einerseits dem Vater einen würdevollen Abgang und sich selbst eine gesicherte Zukunft bereiten will. Riley, grundsätzlich ein recht grob veranlagter Kerl mit Vorliebe für schrille Vergnügungen in den einschlägigen Etablissements rund um die Weltmeere, entdeckt plötzlich sein Herz und sein Mitleid für die hilflos ausgelieferten Leute dort unten im Schiffsrumpf, und die finale Katastrophe (der Skipper, der die ganze Zeit im Bilde war, flutet den Raum mit den Flüchtlingen und lässt sie alle ertrinken) bringt ihn dazu, auf seinen Anteil zu verzichten und das Geld dem Mädchen zu geben, das sich rechtzeitig oben im Schiff versteckt und deshalb überlebt hatte. Der Skipper schließlich ist ein Typ, der nicht mehr in die Schöne Neue Welt hineinpasst und das vermutlich auch genau weiß, obwohl er nicht darüber spricht. Nach alter Sitte ist das Schiff sein ganzer Stolz und seine ganze Identität, und als es merkt, wofür es neuerdings missbraucht wird, brennen seine Sicherungen durch, obwohl auch er ursprünglich ein integrer Mann war. So hat die Schöne Neue Welt viele Mittel und Wege gefunden, neue Typen von Tätern und Opfern zu produzieren.

 

   Gradlinig und in wuchtigen, starken Bildern geht die Erzählung voran, der Autor Hudson hat sein Thema in griffige, prägnante Szenen gefasst, der Regisseur Hudson tut indes nicht mehr als nötig (und das ist wie immer etwas zu wenig), kann sich aber im Zweifelsfall auf die prominenten und äußerst eindrucksvoll agierenden Darsteller verlassen, vor allem die Herren Mullan und Lewis mit ihren markanten, bewährten Profilen geben den Charakteren Tiefe und Präsenz, und so überzeugt der Film im ganzen als eine Mischung aus Familiendrama und exemplarischem Gleichnis für die Schöne Neue Welt. Ein paar visionäre Bilder hätten mir persönlich sicherlich gefallen, doch stellt sich Hudson durchaus mit Recht in die starke Tradition britischer Filme mit menschlichem und politischem Anliegen, und unter dem Strich ist das auch in Ordnung so. Erschütternd und bewegend ist die Geschichte auf jeden Fall und die Beteiligten haben es verstanden, sie nachdrücklich und dringend zu vermitteln. (2.6.)