Mesrine: L’instincte de mort (Public Enemy No. 1 – Mordinstinkt) von Jean-François Richet. Frankreich/Italien/Kanada, 2008. Vincent Cassel, Cécile de France, Elena Anaya, Gérard Depardieu, Roy Dupuis, Gilles Lellouche, Michel Duchaussoy, Miriam Boyer, Florence Tomassin

   Wie bei den meisten Exemplaren dieser Gattung ist wohl auch bei Jacques Mesrine (1936-79) die Grenze zwischen gesicherten Fakten und öffentlicher bzw. privater Stilisierung extrem fein und delikat. Mesrine selbst hat sogar eine Art Autobiographie verfasst, und seine Sicht der Dinge dürfte in erheblichem Maße von der behördlichen Version abweichen, weshalb zu aller Vorsicht diesem Film eine kurze Notiz vorangestellt ist, die uns dumme Zuschauer genau auf diesen Tatbestand aufmerksam machen und sich zugleich gegen den Vorwurf einseitiger Darstellung absichern will. Unnötig, finde ich, denn jeder Depp weiß doch wohl, dass es keinen objektiven Film gibt, und schon gar nicht in solch einem mythenumrankten Fall, einem der spektakulärsten der französischen Kriminalgeschichte.

   Teil eins des insgesamt mehr als vierstündigen Projekts umreißt die Zeit von 1959 bis in die frühen Siebziger. Jacques Mesrine erlebt Folter und Gewalt als Soldat im Algerienkrieg, kommt nach Haus und nimmt zügig Kontakt zur Unterweltszene auf, zunächst als Handlanger des Gangsterbosses Gérard Depardieu, zunehmend aber in eigener Sache, mit dreisten Raubzügen und erfolgreichen Banküberfällen. Er heiratet eine schöne Spanierin, wird zum Familienvater, versucht sich an einer bürgerlichen Existenz, doch als er seinen Job verliert, sind die Weichen endgültig gestellt. Die Ehe geht in die Binsen, er findet mit Jeanne Schneider eine Partnerin im Geiste, die zusammen mit ihm Casinos ausräumt und die auch gemeinsam mit ihm nach Kanada flieht, als der Boden in Frankreich zu heiß wird. Drüben wiederum eine kurze Zeit geregelter Arbeit, dann geht’s weiter auf der kriminellen Bahn, diesmal aber mit weitaus dramatischeren Folgen. Die Entführung eines Milliardärs misslingt, Jacques und Jeanne werden in den USA verhaftet, an Kanada ausgeliefert, wo Jacques den brutalen, menschenverachtenden Vollzug eines Hochsicherheitsgefängnisses kennenlernt, eine Erfahrung, die ihn plötzlich zum Opfer macht und die ihn maßgeblich prägen wird. Sein tollkühner Ausbruch gelingt, doch seine weitere Karriere im Land ist von zunehmender Gewalt gekennzeichnet, und als Jeanne, die ihre fünf Jahre im Gefängnis absitzt, seinen Weg nicht weiter mitgehen will, beschließt Mesrine, nach Frankreich zurückzukehren, und wie es ihm dort ergeht, wird im zweiten teil verhandelt, wobei sein gewaltsames Ende hier bereits vorweggenommen wird.

   Eine Biographie ganz wie für’s Kino geschaffen, und natürlich darf man fragen, wo die Wahrheit aufhört und der Mythos beginnt, in diesem Falle allerdings finde ich diese Frage nicht so interessant, denn dies ist Gangsterkino in großem Stil, eine Hommage an die große französische Tradition ebenso wie an die klassischen US-Filme, die im besten Fall ja auch immer eine Gratwanderung zwischen Gesellschaftsporträt und individueller Kriminalgeschichte unternahmen. Letztgenanntes gelingt hier auch vortrefflich – ein straff und spannend erzählter Film mit viel Lokalkolorit und viel hässlicher Gewalt, die sich in dieser Form keineswegs zur Idealisierung Mesrines anbietet. Der Mann ist ein jähzorniger Psychopath, ein rücksichtsloser Gewalttäter, dessen zwischenzeitliche Fassade als liebender Ehemann und Familienvater auf Dauer nicht funktioniert, denn weder bringt er seiner Frau (oder überhaupt irgendeiner Frau) wahren Respekt entgegen, noch ist er aufgrund seines Lebenswandels imstande, für seine Kinder dauerhaft Verantwortung zu übernehmen, er bringt sie im Gegenteil noch in Gefahr, wenn in ihrer Gegenwart auf ihn geschossen wird. Er lebt allein für sich, für sein Ego, für Macht, Ruhm und Geld, er genießt seinen wachsenden Status als öffentlicher Feind und Medienereignis, er inszeniert sich sogar als eine Art Star, ein schillernder Typ vielleicht, aber keiner, mit dem ich auch nur eine Minute lang sympathisieren könnte. Eine grundsätzliche Distanz, die uns die Darstellung im Film nicht abnimmt, denn zwar spielt Cassel natürlich grandios, doch baut auch er keine Nähe auf, das ist wohl auch nicht gewollt, Mesrine bleibt fremd und rätselhaft, ein Mythos, den man nicht begreift. Hier würde ich auch meine Kritik am Film ansetzen, denn trotz seiner durchaus angemessenen Länge (schließlich geschieht unerhört viel in der Zeit) kommt Mesrines Hintergrund zu kurz. Wir sehen ihn anfangs in einer Folterszene aus dem Algerienkrieg, können aber nur spekulieren, ob ihn diese Erfahrung persönlich getroffen und beeinflusst hat. Wir sehen ihn bei einer Auseinandersetzung mit dem Vater, hören den Vorwurf, der Vater habe für die Deutschen gearbeitet, doch bleibt auch diese Andeutung im Raum stehen und wird nicht weiter mit Inhalt gefüllt. Mesrines reibungsloser Eintritt in die Unterwelt scheint darauf hinzuweisen, dass er schon vor seiner Zeit in Algerien entsprechende Kontakte hatte, aber auch hier erfahren wir nicht mehr. Immerhin spiegeln spätere Szenen mit Frau und Familie eine gewisse innere Zerspaltung, ein Teil von ihm scheint sich wirklich nach bürgerlichem Frieden zu sehnen, doch hätte ich persönlich insgesamt mehr Zeit auf den Menschen Mesrine verwendet gehabt, vielleicht um doch emotional stärker beteiligt zu sein. So laufen auch die entwürdigenden Misshandlungen im kanadischen Knast doch ein wenig an uns vorbei, weil Mesrine nicht das geeignete Opfer für sowas ist, selbst wenn die Zustände himmelschreiend sind und im Film gebührenden Niederschlag finden. Ironischerweise musste offenbar erst ein brutaler Verbrecher kommen und auf die skandalösen Haftbedingungen aufmerksam machen, um eine Reaktion zu provozieren, denn wie zumindest im Film behauptet wird, wurden die Hochsicherheitstrakts später abgeschafft.

 

   Alles in allem aber ist dies stilvolles, starkes Kino mit ein paar tollen Stars und zum Teil wirklich atemloser Spannung, weshalb ich auf den zweiten Teil auch schon recht gespannt bin. Vielleicht verstehe ich danach auch besser, was Mesrines Status in Frankreich wirklich ausmacht. (27.4.)