The last station (Ein russischer Sommer) von Michael Hoffman. England/BRD/Russland, 2009. Helen Mirren, Christopher Plummer, James McAvoy, Paul Giamatti, Kerry Condon, Anne-Marie Duff

   Mit leichter Verwunderung lese ich nach dem Kinobesuch einige böse Verrisse im Internet und finde, dass der Film so übel nun wirklich nicht ist. Übel ist natürlich sein bescheuerter deutscher Titel, der klar auf Feelgoodkomödien ähnlicher Bauart schielt (man hätte ihn doch auch „Russisch für Anfänger“ nennen können...), der Film an sich ist für meinen Geschmack aber doch eine recht vergnügliche und allemal unterhaltsame Hommage an Leo Tolstoi und die große Liebe und was sonst noch. Es kommt wohl darauf an, was man von ihm erwartet.  Viel mehr als schön gefilmte und exquisit dargebotene Unterhaltung mit ein wenig Tiefgang ist vielleicht nicht dabei herausgekommen, doch hatte ich auch nicht den Eindruck, dass die Macher ursprünglich höher zielen wollten. Es wäre wohl auch arg vermessen gewesen, irgendetwas Substantielles über Tolstoi in einem gängigen, den Marktregeln gehorchenden Produkt  aussagen zu wollen.

   Wir erleben den alten Mann in seinem Todesjahr 1910 auf seinem Landsitz Jasnaja Poljana, abwechselnd umgeben von der Familie und seinen Bewunderern, den sogenannten Tolstojanern, die aus einigen seiner Gedankensätze flugs eine Religion gemacht, eine Art Sekte gegründet und es sich fortan zur Aufgabe gemacht hatten, mit Tolstois Gattin Sofia Andrejewna einen erbitterten Kampf um die Rechte am gewaltigen Werk des weltberühmten Schriftstellers auszutragen. In die Szenerie gerät der junge Valentin Bulgakow, der sich zunächst den Tolstojanern anschließt, sich dann aber ein Mädchen verliebt und langsam ahnt, dass die hehre Gesinnung der skurrilen Herrschaften vor allem von Heuchelei und Bigotterie gekennzeichnet ist. Dennoch steht Valentin loyal zu Tolstoj selbst und begleitet ihn auch auf der letzten Reise per Zug gen Süden, wo er im November im Haus eines Bahnhofswärters stirbt (der letzten Station des Originaltitels), keineswegs unbemerkt von der Weltöffentlichkeit, denn längst ist Tolstoi ein gefeierter Medienstar, auch wenn er selbst diese Art von Aufmerksamkeit missbilligte.

   Ein wenig Recherche mag dem ganzen schon zugrunde liegen doch für eine wirklich gründliche, tiefgehende Auseinandersetzung reicht das natürlich nicht. Manche Zusammenhänge werden viel zu knapp gehalten, kaum erläutert, Tolstois Ansichten zu Sexualität und materiellem Besitz bleiben zu schemenhaft, die Bedeutung seines Werks unklar, doch wie gesagt lag all dies offenbar außerhalb der Ambitionen der Produzenten. Das turbulente Drama konzentriert sich auf das Ringen um Tolstois Wohlwollen und vor allem um sein Werk. Und dabei ging es auch um viel Geld, das weder die kapriziöse, verwöhnte Sofia noch die mehr als dubiosen Herren von der Sekte verschmähten. Vor allem Herr Tschertkoff, einer ihrer Führer, hatte sich geschickt und ausdauernd in den engsten Kreis um Tolstoi manövriert und ließ kleine Gelegenheit aus, gegen Sofia zu intrigieren, was von ihr wiederum mit wütenden, leidenschaftlichen Szenen gekontert wurde. Im Prinzip hatten die dogmatischen Tolstoianer wohl die besseren Karten und Sofia hatte sich allein aufgrund ihres extravaganten Wesens ziemlich isoliert, doch wollte der alte Mann auch im Sterben nicht auf sie verzichten. Die fast fünfzig Jahre dauernde Beziehung zwischen den beiden ist am Ende ein so starkes Band, dass selbst Frust und fortwährende Entzweiung nicht daran rütteln konnten, und erst recht nicht die Tolstojaner, so sehr sie es auch versuchten.

 

   Im ganzen gesehen vermutlich nur ein kleiner Ausschnitt aus dem langen Leben Tolstois, reicht die Episode doch allemal aus für ein paar Kabinettstückchen in Sachen extrovertierter Schauspielerei. Helen Mirren tobt sich in ihrer Rolle als Sofia aus, dass es eine Wonne ist.  Ungeniert geht sie in die Vollen, zaubert grandiose Auftritte aus dem Hut, zelebriert Breitwandtheater, sprengt auch mal locker den Rahmen, verliert aber nie ihre Würde und ihr Format, sodass zumindest ich sehr viel Spaß an ihrer Vorstellung hatte. Der Rest der Crew steht ein wenig im Schatten der großartigen Diva, doch wenigstens Plummer kann sich auf seine souveräne Präsenz verlassen, und auch McAvoy als naiver, gefühlsbetonter Jüngling macht für mich eine gute Figur, während Giamatti etwas zu modern für seinen Part ist. Dazu sehen wir die gewohnt hübschen Bilder, genießen das epische sommerliche Flair und ostdeutschen Birkenhainen und verfolgen amüsiert und auch etwas bewegt die schrägen Kapriolen der historischen Personen auf der Leinwand. Wie seriös das nun im einzelnen ist, hat mich ehrlich gesagt in dem Moment nicht sonderlich gejuckt, weil mir der Film einfach ganz gut gefallen hat, ohne dass er mich im Nachhinein noch tagelang beschäftigen wird. Okay, aber das reicht ja manchmal auch schon. (28.1.)