The visitor (Ein Sommer in New York) von Tom McCarthy. USA, 2009. Richard Jenkins, Hiam Abbas, Haaz Sleiman, Danai Guria
Ich halt mich mal an den Originaltitel, denn der deutsche ist mal wieder komplett sinnfrei und gibt auch nicht den leisesten Hinweis auf Qualität oder Ziel des Werks. Immerhin – New York stimmt, das ist nicht von der Hand zu weisen, aber Sommer? Hat mit dem Film nicht das geringste zu tun. Na, sei’s drum...
Besucher indessen kommen hier reichlich vor, im ganz konkreten wie im übertragenen Sinn. Walter beispielsweise ist seit langem ein Besucher in seinem eigenen Leben. Er verlor seine Frau, fristet sein Dasein als Collegelehrer in Connecticut, der Jahr für Jahr immer wieder die gleiche Vorlesung hält und sich mit Publikationen über Wasser hält, von denen wir vermuten dürfen, dass sie die Menschheit nicht gerade elementar voranbringen. Als er widerwillig nach New York reist, um dort einen Vortrag zu halten, wird er zum Besucher in seiner eigenen Wohnung, denn er hält sich dort kaum noch auf und ist im Haus selbst völlig fremd. In der Wohnung trifft er auf zwei weitere Besucher – Tarek und Zainab aus Syrien bzw. dem Senegal, ein junges Pärchen, das offenbar Schwierigkeiten mit der Einwanderungsbehörde hat. Er ist Musiker, hat zwar eine Mutter in Michigan, wartet selbst aber noch auf seine Green Card, und sie verkauft selbst gefertigten Schmuck auf dem Markt, wirkt aber dauernd verspannt und verunsichert, weil sie einfach nicht weiß, wie es weitergeht. Beide wissen nur, dass die USA seit 9/11 ihre Ausländerpolitik radikal verschärft haben und alles abschieben, was auch nur entfernt dubios wirkt. Und genau so kommt’s: Als Tarek in der U-Bahn verhaftet wird, setzt sich die Maschinerie und Gang, und niemand kann sie stoppen, auch ein von Walter finanzierter Anwalt und auch Tareks Mutter nicht (noch eine Besucherin), die sich bei Walter einquartiert und eine zarte Bande zu ihm knüpft. Am Ende wird Tarek ausgewiesen und die Mutter reist ihm hinterher. Walter zögert kurz am Flughafen, bleibt dann aber daheim und schlägt die Trommel so, wie Tarek es ihm beigebracht hat.
Viele einander fremde Welten treffen hier aufeinander, Kulturen, Lebenseinstellungen, Traditionen. Walter ist der erstarrte, introvertierte Intellektuelle von der Ostküste, Tarek der vitale, lebensfrohe Instinktmensch, der den Rhythmus im Blut hat und sich nun anschickt, Walter wenigstens etwas davon mitzugeben. Die spontanen, mitreißenden international besetzten Drumsessions draußen auf den Straßen und Plätzen der Stadt kontrastieren scharf mit der rigoros bürokratisierten, schematisierten und reglementierten Einwanderungspolitik, die vor allem auf Machtausübung und Einschüchterung abzielt – und das in einem Land, das eigentlich genau betrachtet nur aus Einwanderern und deren Nachfahren besteht! Die politische Haltung des Films ist offenkundig gut gemeint, seine Konstruktion oft recht schematisch und simpel, und angesichts der äußerst komplexen und komplizierten Verhältnisse wünschte ich mir durchaus eine differenziertere, auch mal kontroverse Darstellung. Aber gut, der Film hat eine Botschaft, daran ist nichts auszusetzen, und er will auch nicht so richtig wehtun, worüber man sich bei diesem Thema schon eher streiten könnte. Dennoch hat er mir gut gefallen, weil er es wundersamerweise geschafft hat, die schlimmsten Kitschfallen souverän zu umschiffen – und das sind nicht wenige in diesem Fall! Allein in der Figur des leblosen alternden Kopfmenschen, der von einem jungen Araber zum Leben erweckt wird und sich endlich wieder anderen Menschen zuwendet, liegt viel Potential für viel Melodrama, doch nichts davon ist im Film spürbar. Der Ton ist durchgehend gut kontrolliert und ausbalanciert, sehr zurückhaltend und ruhig, es gibt keine pompösen Momente, keine plakativen Ansprachen, und genauso dezent und doch tiefgründig sind Richard Jenkins und Hiam Abbas in den Hauptrollen. Jenkins dominiert den Film und macht das ausgezeichnet, doch erst mit dem Auftauchen der wunderbaren Hiam Abbas kommt etwas mehr Dynamik und Spannung ins Zwischenmenschliche, eine schüchterne gegenseitige Attraktion, die dennoch niemals ausgelebt werden kann, denn diese beiden stammen aus unvereinbar verschiedenen Welten. Dennoch ist dies eine sehr schöne, wenn auch nur angedeutete Liebesgeschichte, die schon deshalb angedeutet bleiben muss, weil alles andere einfach viel zu unrealistisch gewesen wäre. Hinzu kommen ein paar eindrucksvolle Szenen über die Ohnmacht des einzelnen gegenüber der uniformierten Staatsmacht (die ironischerweise auch noch von Beamten mit schwarzer Hautfarbe repräsentiert wird!) und ein paar schöne musikalische Momente, die einfach etwas über die verbindende, universale Qualität von Musik erzählen.
Wie gesagt, der Film hätte zweifellos besser sein können, wütender, provozierender, kantiger, doch auf der anderen Seite (und diese Chance war weitaus größer in meinen Augen) hätte er auch sehr viel schwächer sein können, seifiger, kitschiger, verlogener. Er ist von alledem nichts, er geht seinen eigenen Weg und tut dies überzeugend und so, dass er als menschliches Drama, als eines von vielen dieser Art, relevant und beeindruckend rüberkommt. (3.2.)