Noruwei no mori (Naokos Lächeln) von Trành Anh Hùng. Japan, 2010. Kenichi Matsuyama, Rinko Kikuchi, Kiko Mizuhara, Reika Kirishima, Kengo Kora, Eriko Hatsune

 

   Genau genommen sehen wir Naokos Lächeln nur selten im Verlauf der Geschichte. Nach dem unfassbaren und unbegreiflichen Selbstmord ihres Geliebten Kizuki zieht sie sich in Trauer, Depression und eine entlegene psychiatrische Einrichtung zurück, wo sie mit Hilfe ihrer Mitbewohnerin Reiko versucht, wieder zu sich zu finden. Kizukis bester Freund Toru Watanabe wählt auch eine Art Flucht – er zieht nach Tokio, stürzt sich ins Studentenleben und die Turbulenzen der späten 60er Jahre und bändelt mit der koketten, lebensfrohen Midori an, die ihn zunächst ein bisschen an der langen Leine zappeln lässt,. sich ihm dann aber mehr und mehr nähert. Andererseits kommt er von Naoko nicht los, die er durch Kizuki kennen gelernt hatte und seitdem nicht vergessen konnte. Er sucht sie im Sanatorium auf, die beiden beginnen eine Liebesbeziehung, doch erweist sich Naoko als sehr schwermütig, unzugänglich und zerbrechlich, und auch Torus Versprechungen, zu ihr zu stehen, auf sie zu warten und sie nicht zu bedrängen, geben ihr keine Sicherheit. Daheim in Tokio lockt wiederum Midori mit sexy Flirts, und auch zu ihr fühlt sich Toru stark hingezogen. Das Hin und Her zwischen den beiden Mädchen wird auf tragische Weise durch Naokos Selbstmord beendet, und nach dem Abschied von Reiko kann sich Toru endgültig Midori zuwenden.

 

   Eine in traumhaften Bildern gefasste melancholische Meditation über Liebe und Tod, mal von pubertärem Überschwang, mal von intensiver Erotik, dann wieder von fremdartiger Entrücktheit, gerade so, wie es unser junger Held am eigenen Leib erfährt, denn obgleich er Erzähler und Protagonist der Geschichte ist, kann er oft genug nur als Objekt angesehen werden, zerrissen zwischen zwei sehr gegensätzlichen, auf ihre Art jeweils sehr herausfordernden Mädchen, in die er sich auf unterschiedliche Weise verliebt, zwischen denen er sich aber auch nicht recht entscheiden kann. Jede von ihnen spricht etwas in ihm an, und statt sich aktiv auseinander zu setzen, lässt er sich treiben zwischen dem unruhigen Tokio und dem paradiesisch stillen Ort auf dem Land, zwischen der quirligen, lebendigen Midori und der ätherischen, verletzlichen Naoko, die ihm nicht zuletzt deshalb soviel bedeutet, weil die beiden zusammen mit Kizuki einst ein unzertrennliches Kleeblatt bildeten, und beide auch jetzt von der Vergangenheit nicht lassen wollen und können. Es scheint also, als sei die Liebe zu Naoko eher aufs Jenseits und die zu Midori her aufs Diesseits gerichtet, obgleich auch das Verhältnis zu Naoko ganz handfeste körperliche Anteile hat. Tranh Anh Hung setzt die oft provozierend offensive und vielfach als banal und oberflächlich kritisierte Sprache des Roman von Haruki Murakami vollständig in Filmsprache um, und das hat er sehr gekonnt gemacht, so dass einerseits die Erotik an sich erhalten geblieben ist, aber jeglicher spekulativer Elemente beraubt wurde, und dass die permanente Innenschau des unreifen Helden zu keiner Zeit aufdringlich oder prätentiös wirkt. Sein Film ist eine ruhig fließende, visuell äußerst reizvolle Dreiecksgeschichte und dabei zugleich das faszinierende Porträt einer völlig verunsicherte, entwurzelten, ratlosen Generation, die orientierungslos herumirrt zwischen östlichen und westlichen Kultureinflüssen, der Forderung nach Erneuerung und Umsturz und zugleich der Erstarrung der Tradition einer alten Gesellschaft, die sich nun öffnen muss und noch nicht weiß, wie sie mit den neuen Eindrücken umzugehen hat. Sex ist ein Dauerthema, hat aber gar nichts mit Befreiung zu tun, sondern mit Mythen, Stress und Missverständnissen, und wenn Toru und sein Kumpel losziehen, um Mädchen aufzureißen, hat das etwas angestrengtes und forciertes an sich, und wenig mit Spaß und Lust zu tun. Es sind dies die späten 60er, und dann hat das eben so zu sein. Offene Zweierbeziehungen sind en vogue, machen aber niemanden glücklich, das ach so lockere und freie Studentendasein endet zumeist mit Katzenjammer, und niemand weit und breit hat die Möglichkeit und den Mut, Bedürfnisse und Fantasien wirklich auszuleben und zu genießen. Die Parallelen zu den Erfahrungen in der westlichen Hemisphäre sind verblüffend und rücken diesen Film ganz nah an uns heran, was ich in dieser Weise ehrlich gesagt nicht erwartet hätte, aber ganz offenkundig haben auch die Japaner ihre Krise auf dem Weg in die sogenannte „Moderne“ durchgemacht. „Naokos Lächeln“ fasst all diese Aspekte sehr kunstvoll so zusammen, dass sie nicht schwer auf der Geschichte lasten, sondern sozusagen als Subtext ständig mitschwingen. Vielleicht ist der Film sogar subtiler als das Buch, das ich nun gern einmal lesen würde. Er ist jedenfalls ein besonderes Kinoerlebnis, großartig inszeniert und gespielt mit genialem Soundtrack (und ich meine nicht Johnny Greenwood damit...) und einigen bestechend eindringlichen und gefühlvollen Momenten. Ein Melodram irgendwie, aber äußerst kunstvoll in Szene gesetzt. (18.7.)