Westwind von Robert Thalheim. BRD, 2011. Friederike Becht, Luise Heyer, Franz Dinda, Volker Bruch, Hans Uwe Bauer, Hannes Wegener, Albert Schuch, Golo Euler

   Als es noch die DDR gab: Das war der Jahresurlaub am Balaton, die Reise ins befreundete sozialistische Ausland also, eine der besonderen Auszeichnungen für die Bewohner des Arbeiter- und Bauernstaates. So auch für die Zwillinge Doreen und Isa aus dem Sächsischen, die eine große Hoffnung im Rudersport darstellen und sich nun im Trainingslager am See für die nächsten Wettkämpfer fit machen sollen. Das Unternehmen gerät in dem Moment in Gefahr, als zwei Hamburger Jungs die Mädels im VW Käfer mitnehmen und sofort eine Auge auf die forschen, kecken Schwestern werfen. Und während Isa eher bremst, geht Doreen in die Vollen, verknallt sich Hals über Kopf in ihren Arne und lässt sich sogar auf den wahnwitzigen Plan ein, im Auto versteckt rüber in den Westen zu machen. Isa macht in letzter Sekunde einen Rückzieher, und damit ist die Trennung der bislang Unzertrennlichen unwiderruflich. Doreen landet tatsächlich drüben, doch im Abspann nehmen wir erleichtert zur Kenntnis, dass schon im Jahr darauf die Mauer fiel, die Trennung der beiden also nicht von allzu langer Dauer gewesen ist. Und dies ist sogar eine wahre Geschichte.

 

   Eine hübsche Geschichte dazu, und Robert Thalheim hat sie mit viel Geschick und dem genau passenden Mix aus Gefühl, Zeitgeist und Geschwisterdrama inszeniert. Die Atmosphäre der späten 80er, als die armen Kinder offenbar nur zwischen Depeche Mode und The Cure wählen konnten (mein Gott!), wird wunderbar eingefangen, das Gefühl, zum ersten Mal im Ausland zu sein, weiter weg von Zuhause, die Aufregung, die Abenteuerlust, durchaus auch die Lust, sich mal etwas auszuprobieren. Die spezielle Chemie der Zwillinge wird wunderbar realisiert und gespielt, ist auch ohne viele Worte sofort spürbar und glaubhaft, was dem schleichenden Prozess der Entfremdung ein besonderes Gewicht gibt, denn natürlich ist sofort klar, dass Isa, die zu ihrem Pech an den etwas bräsigen und holzigen Nico gerät, dem so gar nichts Romantisches anhaftet, alsbald im Abseits stehen wird. Sie hält lange den Kopf hin für die Schwester, die immer wieder aus dem Lager ausbüxt, auch als der gestrenge Trainer bereits ein deutliches Verbot ausgesprochen hat, und sie erträgt auch die Angst, dass tatsächlich etwas Ernstes zwischen sie treten wird, etwas Endgültiges. Und trotzdem entscheidet sie sich am Schluss, nicht mitzugehen, weil sie selbst gar einen Grund dazu hat, und so müssen die beiden in einer wirklich ergreifenden, weil gar nicht so breit ausgewalzten Szene, voneinander Abschied nehmen, vielleicht sogar für immer, wie sie im Jahre 1988 noch befürchten mussten. Dazu gibt’s viele schöne Szenen mit dem speziellen DDR-Charme (Alltag im Camp) und auch einige Begegnungen mit den Wessis, die sich teilweise durchaus ziemlich ungehobelt und unsensibel verhalten, auch Arne, der gar nicht zu verstehen scheint, welche Folgen eine Republikflucht nicht nur für die Flüchtenden, sondern vor allem für ihre Angehörigen haben könnte. In vielen Momenten erscheinen die Wessis nassforsch und naiv, verwöhnt und taktlos, aber irgendwie sind sie deshalb auch nicht gänzlich zu verurteilen, denn sie sind wie selbstverständlich in Freiheit groß geworden und entsprechen verwöhnt und selbstbewusst. Thalheim hat es sehr gut verstanden, in die Romanze immer wieder diese Misstöne einzubauen, die darauf hinweisen, dass Ossis und Wessis tatsächlich auch zwei sehr gegensätzlichen Welten kamen und sich die Verständigungsschwierigkeiten auch in kulturellen Dingen wie Sprache, Umgangsformen und Lebenseinstellung zeigten. Dies und eine allgemein angenehm differenzierte Darstellung bewirkt, dass dies zu keiner Zeit ein seichtes Sommerkomödchen oder Wohlfühlfilmchen geworden ist, sondern eine im Grunde durchaus ernste Geschichte, die über ihren konkreten zeitgeschichtlichen Hintergrund hinaus natürlich auch als eine schöne Liebes- und Selbstfindungsgeschichte ist – aber so was ist ja auch nicht immer leicht zu verfilmen, und Robert Thalheim hat da, unterstützt von hervorragenden Schauspielern, doch sehr gute Arbeit geleistet. (8.9.)