Tinker, Tailor, Soldier, Spy (Dame, König, As, Spion) von Tomas Alfredson. England/Frankreich, 2011. Gary Oldman, John Hurt, Benedict Cumberbatch, Tom Hardy, Colin Firth, Toby Jones, Ciarán Hinds, Mark Strong, David Dencik, Stephen Graham, Simon McBurney, Svetlana Khodchenkova, Kathy Burke, Christian McKay

   John Le Carrés exemplarische Smiley-Romane wurden teilweise schon fürs britischen Fernsehen verfilmt, in den späten 70ern bzw. frühen 80ern, und zwar ganz im Stil der BBC, soll heißen sehr gediegen und gründlich, gewissenhaft umgesetzt, hervorragend gespielt und visuell gesehen im typisch steifen Beamtenstil, der die meisten BBC-Produktionen kennzeichnet. Ein auf die Dauer ein wenig äh mühsames Sehereignis, das sich, so habe ich es einst empfunden, durchaus hätte kondensieren lassen.

   Tomas Alfredsons hervorragende Neuverfilmung beweist nun, dass dies nicht nur möglich, sondern auch ein durchaus sinnvolles Unterfangen ist, denn es ist ihm tatsächlich gelungen, die Substanz dieses durchaus nicht übermäßig umfangreichen Romans komplett zu übertragen und gleichzeitig einen spannenden Kinofilm statt eines fünfstündigen Exerzitiums zu schaffen. Und: Er hat den Stoff nicht aktualisiert, nicht auf unsere heutige Zeit übertragen, sondern ist in den frühen 70ern geblieben, hat sich ganz auf jene Epoche des Kalten Krieges eingelassen und hat auch sonst wohlweislich vermieden, den Stoff in irgendeiner Weise „aufzupeppen“, d.h. mit kommerziellen Attraktionen um Zuschauer zu buhlen.

   Im Gegenteil – dies sind hochkonzentrierte, extrem dichte und intensive zwei Stunden, die sich ausschließlich mit einer Parallelwelt beschäftigen, und zwar mit der Welt der Geheimdienste zu einer Zeit, da die Welt noch schön sauber in Ost und West aufgeteilt war. Das war allerdings auch schon das einzig Saubere daran, alles andere war Dreck, Intrige, Gewalt. Alfredson versteht es besonders kunstvoll, eine Atmosphäre stiller Paranoia derart greifbar zu machen, dass ich mich als Zuschauer wie unter einer Glasglocke wähnte, fast wie in Trance, während vor mir die unerbittlich ineinander greifenden Mechanismen der Spionage abliefen. Aufhänger der Geschichte ist die Suche nach dem Maulwurf, der den Secret Service angeblich unterwandert, persönlich eingesetzt von Karla, George Smileys legendärem, jahrelangen Gegenspieler in Moskau. Der Maulwurf muss an höchster Stelle sitzen, also einer von wenigen exklusiven Mitgliedern des „Circus“ sein, was die Operation besonders delikat macht, und weswegen Smiley von vornherein weiß, dass er sich keine Freunde machen wird, indem er diesen Maulwurf aufzuspüren versucht. Am Schluss gelingt es ihm und er wird aus dem einst erzwungenen Ruhestand ruckzuck zum Leiter des Circus ernannt. Was ihn aber mit noch größerer Befriedigung erfüllen dürfte, ist die (wenigstens vorübergehende) Rückkehr seiner Ehefrau, mit der er eine seit Jahren notorisch kriselnde Ehe führt. Just diese Ehe ist Smileys große Schwäche, und davon wusste Karlas und genau an diesem Punkt hat er angesetzt und den Maulwurf eine Affäre mit ihr beginnen lassen, richtig spekulierend, dass Smileys Aufmerksamkeit dadurch langfristig abgelenkt oder zumindest geteilt sein würde. Dass ausgerechnet ein so trockener und kalter Fisch wie Smiley durch so etwas aus der Bahn geworden werden kann, erscheint zunächst unglaubwürdig, doch wie Smiley selbst einmal doziert, hat jeder aus dem Verein eine Schwäche, und das Geschäft besteht zum großen Teil daraus, sich die Schwächen der jeweiligen Gegner zunutze zu machen. Diese Schwächen sind es auch, die die Beteiligten als Menschen ausweisen statt als mechanisch operierende Roboter, obwohl gerade dies sehr sinnvoll gewesen wäre. Wir sehen also farblose, unauffällige Anzugträger in farblosen, unauffälligen Bürogebäuden, die zwischen endlosen Aktenregalen, Fernsprechern und Dossiers ihrer Paranoia nachgehen, wobei die Briten oft nur als eine Art Handlanger des großen Bruders aus den Staaten fungierten. Beide Parteien – Ost und West – gehen mit der gleichen Rücksichtslosigkeit und Gewissenlosigkeit vor, beide foltern, töten, verraten und verkaufen ohne Bedenken, wann immer es nötig ist, nur um wieder einen winzig kleinen Vorteil im ewigen Krieg der Blöcke zu ergattern. Das Bild der Schachfiguren ist hier absolut folgerichtig – wie Figuren, wie Verhandlungsmasse werden die einzelnen Leute hin und herbewegt, manche geopfert, andere verschoben, mit neuer Identität ausgestattet, ins Feindesland geschickt oder aufwendig von dort zurückbeordert, wenn es denn opportun ist. Der größte Machtfaktor: Informationen. Die größte Angst: Dass der Gegner die eigene Organisation infiltriert und so über mehr Informationen verfügt als man selbst. Hinter der scheinbar so biederen und soliden Fassade stecken eiskalt operierende Funktionäre, die sich und ihren Verein längst schon aus dem „normalen“ Leben herausgelöst und sich eine Parallelexistenz aufgebaut haben. Ohne ihren Beruf, so scheint es, ohne ihr Feindbild hätten diese Leute keine Daseinsberechtigung, keinen Lebenssinn, und genau das macht sie andererseits auch so traurig und das macht die Romane wie den Film fast schon zu einer Tragödie, denn hier tragen keine strahlenden Helden einen glorreichen Kampf um die Weltherrschaft aus, hier haben sich trübe, fanatische Krämerseelen in einen irrsinnigen Kalten Krieg vergraben, feilschen verbissen um kleinste Details, um winzigste Machtnuancen und haben längst jeden Kontakt zur Außenwelt verloren. Man ist als Zuschauer hin und hergerissen zwischen Mitleid und Abscheu und ist natürlich heilfroh, dass diese alte Zeit endgültig vorüber ist (nicht, dass die neue wesentlich besser geworden wäre...).

 

   Alfredsons Films bringt all dies vorzüglich zur Geltung, sein Film ist bei aller Bedächtigkeit, Langsamkeit und Ruhe enorm dicht und spannend, auch ein bisschen übersichtlicher als die allzu faktenreiche TV-Version von einst, er schwelgt in bleichen, grau-braunen Farben, authentischen Interieurs und sehr viel 70er-Flair, vermeidet natürlich jegliche nostalgische Abwandlung (hier gibt’s wahrlich keinen Grund dazu!) und verlässt sich mit Recht auf ein auserlesenes Schauspielerensemble, das sich locker mit dem der alten Fassung messen kann, und obwohl Alec Guinness’ Darstellung des Smiley legendär ist, braucht sich Gary Oldmans melancholischer, bebrillter Jedermann dahinter keineswegs zu verstecken. Für Freunde des Genres ist dies eine ganz feine Sache, vorausgesetzt, man braucht wie ich kein Actiongetöse und legt stattdessen Wert auf Atmosphäre und einen Blick ins Innenleben einer Organisation, die wirklich zutiefst beunruhigend ist. (22.2.)